10 Jan 2018


Probenbesuch bei Daniel Harding

Im vergangenen Juni hatte Daniel Harding zuletzt die Sächsische Staatskapelle besucht. Auf dem Programm damals standen Gustav Mahlers »Blumine« und die »Kindertotenlieder« sowie Antonín Dvořáks 8. Sinfonie, im Anschluß ging es mit dem Programm auf Europa-Tournée. Der Freundeskreis hatte dies als Gelegenheit zu einem Ausflug nach Wrocław genutzt und das Konzert noch einmal im Narodowe Forum Muzyki (Nationalen Forum für Musik) erlebt (unseren Reisebericht finden Sie hier).

Nun kehrte Daniel Harding nach Dresden zurück und sprang für den erkrankten Robin Ticciati ein. Wieder stand ein Werk Gustav Mahlers mit Gesang auf dem Programmzettel, außerdem Alban Bergs Violinkonzert »Im Andenken eines Engels«.

Wie immer hatten die Mitglieder des Freundeskreises Gelegenheit, die Generalprobe zu besuchen. Auch wenn Musiker und Dirigent dann jeweils leger in Pullover oder T-Shirt kommen, ist die Arbeit doch nicht weniger ernsthaft und gespannt als im Konzert. Doch die Kleidung ist nicht der einzige Unterschied zum Konzert. In Generalproben wird noch unterbrochen und wiederholt, man diskutiert, es gibt Analysen des Dirigenten und letzte Wünsche vor dem Konzert. Und auch die Programmfolge entspricht oft nicht dem Konzertplan. Während dort die Sinfonie in der Regel nach der Pause gespielt wird, ist es in den Proben meist umgekehrt – hier richtet man sich nach dem Solisten und gibt diesem etwas mehr Zeit. Ebenso nur in Proben zu erleben: Wenn Anlaß besteht, es etwas zu feiern gibt, den Geburtstag eines Orchestermitglieds etwa, spielen die Kollegen einen Tusch.

Für das erste Konzert im neuen Jahr waren mit Isabelle Faust (Violine) und Regula Mühlemann (Sopran) zwei der besten ihres Fachs verpflichtet worden. Den Anfang in der Generalprobe durfte die Schweizer Sopranistin machen, die im vierten Satz von Gustav Mahlers 4. Sinfonie gefragt war. In Dresden hat man sie 2016 bereits in Haydns »Schöpfung« gehört sowie (im gleichen Jahr) im Adventskonzert der Staatskapelle. Seitdem hat sie sich enorm weiterentwickelt: die Klarheit und Brillanz ist ihrer Stimme erhalten geblieben, dafür hat sie vor allem in der Höhe an Volumen gewonnen, während sie nach wie vor mit weichem Timbre in tieferen Lagen einnimmt.

Daniel Harding legte von Beginn größten Wert auf Details. Er unterbrach zwar nie, faßte aber nach jedem Satz noch einmal zusammen und ließ einzelne Passagen wiederholen – nicht, um Fehler zu korrigieren, sondern wegen der Feinarbeit. Am wichtigsten schien das Tempo. Immer wieder kam Daniel Harding darauf zurück (»wie Gesang, wenn sie atmen«). Und: er sagte nicht nur, er fragte auch, ob es den Musikern zum Beispiel möglich ist, ein Legato etwas früher zu setzen. Später dann, als Regula Mühlemann auftrat, wandte er sich um, vergewisserte sich bei der Assistenz, ob im Saal das ankam, was er wollte. Daniel Harding gelangen feinste Schattierungen, man vermeinte sich in die Bergwelt versetzt zu sehen, in der der Komponist viele seiner Werke geschrieben hat. Das klang, als hallte Gesang von dort zurück, aber überraschte darüber hinaus aber mit ausgefeilten Übergängen, die mitunter unvermittelt schienen wie wendiges Wetter. Das Liedhafte kam der ganzen Sinfonie zugute und vollendete sich im vierten Satz.

Danach, beim Violinkonzert, schien weniger Justierung nötig, aber hier stellte Daniel Harding sich und sein Orchester besonders auf die Solistin ein. Und viel mehr noch als Mahler beeindruckt dieses Werk! Es überragte die Sinfonie, möchte man sagen, es jedem sagen, der das Wort »Zwölftonmusik« mit säuerlichem Ausdruck auf der Zunge hat und die Nase rümpft – nein! Man sollte vergessen, was man über Zwölftonmusik gehört hat, und sich auch über die der Werkarchitektur eingepflanzten Zahlensymbolik erst nach dem Anhören informieren, denn dieses Konzert ist schlicht eine Offenbarung, vor allem, wenn es mit so viel Delikatesse und Herzblut vorgetragen wird wie von Isabelle Faust und der Dirigent derart sensibel auf jede Note, jede Regung, jeden Hauch eingeht. In zwei Sätzen umreißt Alban Berg ein Portrait und ein Sterben, denn »Dem Andenken eines Engels« (die Worte hatte Berg selbst in seiner Widmung formuliert) ist hier nicht nur unverzichtbarer Untertitel, sondern der innere Gehalt des Stückes.

Gläsern und fragil war Isabelle Fausts Ton, zerbrechlich und zart, aber von größter Beseelung und Farbigkeit. Im Flüchtigen des Klangs lag das Ende bereits inbegriffen wie die Erlösung – nicht dumpf, schwarz und niederdrückend war dies Ende, es war ein lichter Aufstieg. Auch im zweiten Satz, der zwischen fahlen, hoffnungslos scheinende Klängen und einem kehligen Krächzen der Krähe hallte, blieb immer die feine Singstimme erhalten. Umgeben vom ganzen Orchester konzentrierte sich alles auf die umwerfende Solistin, die mit Wärme betörte und – ganz nebenbei – ihre stupende Technik einsetzte, die mit der linken Hand die zweite Stimme zupfte, während die rechte die erste strich – ganz ohne jede aufgesetzte Étude à la Paganini!


Text: Wolfram Quellmalz
Foto: Matthias Creutziger