19 Jan 2018


Zum Silvesterkonzert 2017 der Staatskapelle Dresden

Wie schön, wenn es im allgemeinen Trubel des Jahreswechsels Anlässe gibt, die einen „kurz vor Schluss“ nochmals mit Freunden zusammenbringen: Ein solch schöner Anlass war die Generalprobe zum Silvesterkonzert 2017, die der Semperoper schon am 29. Dezember ein volles Haus bescherte. Die Gesellschaft der Freunde der Staatskapelle Dresden hatte ein Kartenkontingent von 130 Plätzen zur Verfügung, welches bis zum Konzertbeginn heftig umkämpft war. Viele unserer Mitglieder wollten sich dieses launige Beisammensein nicht entgehen lassen, zumal mit Musik zum 100. Geburtstag der Universum Film AG „Ufa“ die seltene Gelegenheit bestand, die Damen und Herren der Kapelle wieder einmal als opulent klangsinnliches Filmorchester hören zu können – seit der letzten großartigen Aufführung des Rosenkavalier-Stummfilms im November 2014.

Mit der wunderbaren Angela Denoke (als Marschallin in Dresden leider lange vermisst) war eine der außergewöhnlichsten Sopranstimmen unserer Tage eingeladen; die glutvolle österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman, die sich eine nicht minder beeindruckende Repertoirevielfalt angeeignet hat, gab sich ein Stelldichein und der gefeierte, vielseitige Tenor Daniel Behle ließ es sich nicht nehmen, keck Filmoperetten-Melodien zu schmettern. Eine große Revue-Treppe war schwungvoll durch die Sitzreihen der Sächsischen Staatskapelle aufgebaut und unter der Leitung ihres alten und neuen Chefdirigenten Christian Thielemann, der das passende Handgelenk für die leichte Muse schon vor Jahren getestet hatte, konnte der Abend losrauschen.

Nachdem 2016 mit gewichtigen konzertanten und sinfonischen Werken von Bruch und Tschaikowsky aufgewartet worden war, freute man sich also im Wechsel wieder auf Musik, bei der die Beine locker mitwippen durften – sofern dies die Arthritis beim Publikum erlaubte. Mit „Melodie des Herzens“ war im Dezember 1929 der erste Ufa-Tonfilm auf den Markt gekommen, bis zum endgültigen Aus der Produktion im April 1945 entstanden zahllose weitere Filmoperetten, deren langlebigste Evergreens im Silvesterkonzert in üppiger Auswahl zu hören waren. Mit makellos nobler Stimmführung, die die elegante Herkunft aus dem Opernfach nie verleugnete, sang Angela Denoke die berührend sentimentalen Titel „Ich steh‘ im Regen“, „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“, „Bei dir war es immer so schön“ und „Frag nicht, warum ich gehe“. Einen heiteren Kontrapunkt setzte Daniel Behle mit den Klassikern „Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“, „Ein Freund, ein guter Freund“, „Ob blond, ob braun, ich liebe alle Fraun“ und „Ein Lied geht um die Welt“, dabei mit seiner – obgleich größeren – Stimme bewusst an das Timbre des legendären Joseph Schmidt erinnernd. Kokette Liebesduette der beiden Starsänger durften natürlich nicht fehlen. Rund 80% ihrer Tonfilmzeit hat die ursprüngliche Ufa in den tausend Jahren von 1933 bis 1945 durchlaufen. Mag wohl sein, dass die Auswahl zweier dezidiert als Durchhalteschlager komponierter Lieder Zarah Leanders von mancher Seite als etwas instinktlos angesehen wurde, doch Elisabeth Kulman sang sie entschlackt aller propagandistischen Konnotation als verinnerlicht-sensible Liebeslieder mit großer Nachdenklichkeit. Auch für die Titel „Kann denn Liebe Sünde sein“, „Nur nicht aus Liebe weinen“ und Marlene Dietrichs unsterbliches „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ fand die Sängerin jeweils den perfekt passenden Ausdruck und die adäquat große Abendrobe, wobei das unauffällige Entsorgen abgeworfener Pelzmantillen feines Takt- und Fingerspitzengefühl vom Orchester verlangte …

Künstlerischer Knüller des Konzerts war das eigens zusammengestellte Tanzmusikorchester in Erinnerung an den großen Marek Weber (1888-1964), dessen Aufnahmen noch auf raren Grammophonplatten zu belauschen sind. Unter souveräner Piano-Direktion von Johannes Wulff-Woesten spielten die Kapellmusiker und deren Gäste mit fantastischer Präzision, absoluter Stilsicherheit und hinreißend brillanter Spielfreude. Chapeau!

Die Staatskapelle in rein sinfonischem Gewand kam bedauerlicher Weise bei der überreichen Programmauswahl doch etwas zu kurz. Erich Wolfgang Korngolds mit dem Oscar prämierte Hollywoodmusik zu „Unter Piratenflagge“ (mit Errol Flynn und Olivia de Havilland) eröffnete das Konzert, passend zur derzeitigen, atemberaubenden Neuproduktion seiner Oper „Die tote Stadt“ (mit Burkhard Fritz und Manuela Uhl). Der erste abendfüllende Farbfilm, die Ufa-Jubiläumsproduktion „Münchhausen“ von 1942 nach dem Drehbuch des verfemten Erich Kästner, war mit einigen markanten Musiksequenzen ebenfalls im Programm zu finden, darüber hinaus agierte die großbesetzte Kapelle aber lediglich als luxuriöse Begleit-Combo. Erfreulich war, dass unter den Musikern auch einige junge Mitglieder der Giuseppe-Sinopoli-Akademie saßen, die auf ihrem Berufsweg in die Spitzenorchester dieser Welt somit gleich auch eine Fernseh-Feuertaufe bei der Sächsischen Staatskapelle erlebten.

Die Konzerte vom 30. und 31. Dezember in der Semperoper wurden aufgezeichnet, so dass man am Silvesterabend das runde und beschwingte Programm noch einmal im ZDF verfolgen konnte, wobei die Stimmung im Saal trefflich eingefangen war: drei hervorragende Solisten, ein heiter gelaunter Christian Thielemann, eine hochflexible Staatskapelle, ein grandioses Marek-Weber-Orchester und ein Publikum in silvesterfroher Rezeptionshaltung. Und es ist doch auch irgendwie wahnsinnig sympathisch, wenn hohes Blech mal knapp neben das Ziel schießt, oder der blendend aufgelegte Chefdirigent und Wagnerspezialist bei Informationen wie „Frauen sind keine Engel“ vor Schreck mal einen Tempowechsel verschlägt, oder den großartigen Sängern beim „Tanz auf dem Vulkan“ mal kurz die Worte fehlen – ein solch lebensnahes und facettenreiches Konzert zum Silvesterabend hört man auch in der ZDF-Mediathek gern immer wieder. Manchmal braucht es eben wirklich keine Millionen, sondern nur „Musik, Musik, Musik“!


Text: Tobias Teumer
Foto: Matthias Creutziger