6 Mai 2023


An einem klaren Tag- Musikfestspiele mit einem Auftragswerk von Sean Shepherd

Unsere Neugier auf Neues im Konzertsaal und wie sich die Musikwelt nach der Pandemie entwickeln werde, ist uns Veranlassung gewesen, der Einladung der Dresdner Musikfestspiele zur Uraufführung seines Auftragswerkes „One a Clear Day“ im Kulturpalast zu Folgen. Die Freude wurde nicht eingeschränkt, dass die Musikfestspiele nur Unterauftrag-Geber des Oratoriums waren und wir einen dritten Aufguss der New Yorker Uraufführung erleben durften. Immerhin waren der amerikanische Komponist Sean Shepherd und die Hamburger Dichterin des Textes Ulla Hahn zum Konzert nach Dresden gekommen.

Der Konzertabend wurde mit dem „Schicksalslied für Chor und Orchester op. 54“ von Johannes Brahms (1833-1897) mit Worten von Friedrich Hölderlin (1770-1843) besinnlich, etwas gemächlich, aber wirkungsvoll begonnen. Besonders der Chor sicherte die Eindrücke der Darbietung.

Ludwig van Beethovens 8. Symphonie F-Dur war im Oktober 1812 während eines Sommeraufenthaltes in den böhmische Bädern unter entspannter Stimmung vollendet worden. Sie bietet zwischen den Titanen der siebten und neunten Symphonie mit ihrer knappen, geschlossen detailliert ausgearbeiteten Form, mit ihrer Heiterkeit, der gutmütigen Ironie und ausgelassenen Freude beste Voraussetzungen für eine entspannte Interpretation. Die von Kent Nagano mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg vorgestellte Darbietung führte dem Dresdner Musikpublikum allerdings vor die Ohren, welches Niveau und welches Glück unsere heimischen Orchester bieten. Das langweilige, deutlich zerfaserte Klangbild wurde aber vom Stammpublikum der Musikfestspiele akzeptiert und mit reichem Beifall bedankt.

Die Interpretation von Sean Shepherds „On a Clear Day“ (An einem klaren Tag) gelang dem opulent besetzten Philharmonischen Staatsorchester Hamburg auf das Hervorragendste. Die unzähligen musikalischen Motive, des 1979 in Nevada geborenen Komponisten wanderten durch die Kapelle von Instrumentengruppe zur nächsten. Die klangliche Vielfalt gelangte zum brillant vom Solisten Jan Vogler gespielten Stradivari-Cello „Castelbarco/Fau“ aus dem Jahre 1707, wurde aufgenommen und mit Kraft den Musikern zurückgegeben. Im Vordergrund standen kleinere solistische Melodien und weniger das komplexe Zusammenspiel. Die klangvollen, wohltönenden Phrasen sprachen an und die Dissonanzen waren organisch eingebunden. Der Sound atmete, blieb rhythmisch und poesievoll, nie langweilig.

Wesentliches zum Klangbild trug der machtvolle Chor von gleich vier Jugendchören, der AUDI-Jugendchorakademie, des „The Young ClassX Ensembles“, der Hamburger Alsterspatzen und der Solisten des Dresdner Kreutz-Chores bei. Die Vokalisen sangen klangrein und deklamierten außergewöhnlich sprachverständlich die Texte der Hamburger Dichterin Ulla Hahn, durften auch mal albern. Kent Nagano hielt den machtvollen Klangapparat für eine knappe Stunde zusammen, balancierte aus. Das Werk war als Hymne an die Liebe, an die Urkraft des Lebens, als das „Lied von der Erde des 21. Jahrhunderts“ angekündigt. Es sollte eine Brücke zwischen der Jugend Hamburgs und New Yorks schlagen. Dazu fehlte ihm aber eine Entwicklung im Verlauf der packenden 55 Minuten: es endete, wie es begonnen hatte.

Ein erneutes Hören der beeindruckenden Darbietung wäre des Wünschens wert, um die Dimension der Komposition und der aufwendigen Interpretation umfassender beurteilen zu können.

Die abschließenden Ovationen bekamen ihre besondere Intensität, als sich nicht nur die verdienstvollen Vorbereiter der Chöre, sondern auch die Dichterin der Texte Ulla Hahn und der Komponist Sean Shepherd den begeisterten Besuchern vorstellten.


Thomas Thielemann
Bildrechte: © Oliver Killg (Jan Vogler)