9 Dez 2022


Der 3. Kammerabend mit Corona-Auswirkungen

Zunehmend festigt sich bei uns der Eindruck, dass die wirklich interessanten Veranstaltungen im Dresdner Musikleben in den Kammerkonzerten zu finden sind. So bot auch wieder der dritte Kammerabend am 8. Dezember 2022 der Sächsischen Staatskapelle einige Glanzpunkte.

Der englische Violinist und Komponist George Polgreen Bridgetower (1778-1860), war der Sohn des lt. Taufurkunde aus Äthiopien stammenden „Kammermohrs“ des Fürsten Hieronim Wincenty Radziwill (1759-1786) und der vermutlich aus Bautzen stammenden Maria Anna Ursula, geborene Schmidt (1762-1807).
Als der Vater von 1779 als Kammermohr des Nikolaus I. Joseph Esterhazy de Galantha mit der Familie am dortigen Hofe lebte, wurde das musikalische Talent des George Polgreen von Joseph Haydn (1732-1809) erkannt und gefördert.
Seit 1786 konzertierte er zunächst in Kontinental-Europa, lebte ab 1790 vorwiegend in London. Im Juli 1802 und im März 1803 konzertierte er in Dresden, da zu dieser Zeit seine Mutter hier lebte. Anschließend ging Brigdetower nach Wien, lernte Beethoven (1770-1827) kennen und bat diesen um eine Komposition.
Beethoven komponierte für ihn die ersten beiden Sätze der Violinsonate A-Dur, kopierte aus der 6. Violinsonate op. 30,1 das Presto als Final-Satz, und noch bevor die Tinte auf dem Manuskript trocken war, standen am frühen Morgen des 24. Mai 1803 beide auf der Bühne im Wiener Augarten. Der Geiger Bridgetower musste die Noten der gerade fertig gestellten Musik über die Schultern des Pianisten Beethoven lesen. Das dynamische Spiel des Fortepianos habe der Violinist mit einer bunten Folge von Effekten auf seinem Instrument kombiniert und eine eigene Improvisation beigesteuert. Beethoven sei begeistert gewesen.
Nach dem Abendkonzert feierten die beiden Musiker den Erfolg in einer Kneipe. Nach reichlichem Biergenuss habe aber Bridgetown anzügliche Bemerkungen über eine Frau gemacht, in die Beethoven verliebt gewesen sei, so dass der Komponist die Widmung zerriss und mit dem Geiger jede Verbindung abbrach.
Da Beethoven hoffte, dass der Violinist Rodolphe Kreutzer (1766-1831) die Sonate in Paris bekannt machen möge, widmete er die Komposition dem Franzosen. Kreutzer erklärte die Komposition allerdings für unspielbar und ignorierte die Widmung. Tatsächlich erfordert die Sonate mit ihren wilden Saitenwechseln, den springenden Tönen und heftigen Artikulationen eine unerbittliche Virtuosität, die Kreutzers „geläufiges Bogenspiel“ einfach nicht erfüllen konnte.

Der australische Geiger, Komponist und musikalische Leiter des „Australien Chambers Orchestra“ Richard Tognetti hat Beethovens Sonate Nr. 9 A-Dur op. 47 für Violine und Streichorchester bearbeitet. Achtzehn Streicher der Sächsischen Staatskapelle brachten die virtuose und recht phantasievolle fast symphonische Auslegung der Kreutzer-Sonate zu Gehör. Die konzertante Rolle der Solovioline, von Lukas Stepp hervorragend interpretiert, wurde durch die Einbindung in den solistisch aufgefächerten Streicher-Teppicheingehegt. Dieses Klangbild wirkte sehr geschlossen und extrem spannend. Die Musiker der Staatskapelle boten mit ihrem lustvoll-dynamischen Spiel einen erstklassischen Beethoven, welches durchaus neue Facetten dessen Musik offenlegte.
Das vollständig besetzte Auditorium in der Semperoper, in dem erfreulich viele jüngere Gesichter zu sehen waren, spendete begeisterten Beifall. Auch wenn das in Teilen unerfahrene Publikum in den Satzpausen mit Zwischenbeifall auffiel, bleibt die Erwartung, dass viele Besucher auch die etwas aufwendigeren Konzerte künftig nutzen werden.
Selbst wenn viele Mitbürger die Corona-Krise als abgeschlossen betrachten, so konnte das Posaunen-Quartett wegen zwei Erkrankungen ihr angekündigtes hochspannendes Programm nicht absolvieren.
Ein Blechbläser-Quintett von Musikern der Staatskapelle und Akademisten hatte mit „glühender Nadel“ ein Ersatz-Programm für den zweiten Konzert-Teil gestaltet und mit sichtlicher Spielfreude auch konzertiert. Helmut Fuchs und Anton Winterle waren als Trompeter, Marie-Luise Kahle als Hornistin, Luis Remy als Posaunist sowie Constantin Hartwig als Tubaist bzw. als launiger Moderator aktiv.
Eröffnet wurde die Folge mit einer Bearbeitung Constantin Hartwigs der „Festmusik der Stadt Wien TrV 286“, die Richard Strauss (1864-1949) im Winter 1942/43 für die Blechbläser der drei Wiener Symphonieorchester komponierte, während im Kessel von Stalingrad Soldaten um ihr Überleben kämpften. Schon deshalb war diese jubelnde Musik zumindest für mich nicht unproblematisch.
Wiktor Wladimirowitsch Ewald (1860-1935) war eigentlich Bau-Ingenieur und Hochschul-Lehrer, hatte aber als Hobby-Musiker am St. Petersburger Konservatorium Komposition, Harmonielehre, Violoncello, Klavier und Kornett studiert. Mehrere seiner Musikfreunde, deren Namen uns geläufiger sind, waren „Nebenberufler“: Rimski Korsakov war Marineoffizier, Borodin war Chemiker, Balakirev war Eisenbahner, Cuis war Ingenieur und Mussorgsky war Offizier der kaiserlichen Garde gewesen.
Das Blechbläserquintett Nr.1, op. 5, das Ewald im Jahre 1902 komponierte ist das offenbar bekannteste Werk aus seinem schmalen Werkverzeichnis. Aber die drei Sätze mit den Bezeichnungen „ICH. Moderat, II. Adagio non Troppo lento und III. Allegro moderat“ zeugen von einer immensen Kreativität. Sie bildeten den Höhepunkt des Konzert-Teils.
Da es für die Formation des Blechbläser-Quintetts nur begrenzt Originalkompositionen zur Verfügung stehen, folgte eine Blechbläser-Bearbeitung der populären Wiener Tanzweise „Liebesfreud“ des Geiger-Komponisten Fritz Kreisler (1875-1962). Was bei der originalen Geigen-Interpretation einschmeichelnd voll Charme und Eleganz elegisch angehaucht daherkommt, klingt bei den Blechbläsern doch etwas sperrig. Man sollte das Original eben nicht im Ohr haben.
Ein von Ingo Kreisler gestaltetes Weihnachtslieder-Medley brachte weniger Weihnachtsstimmung als vor allem virtuoses Können der fünf Musiker. Da erwies sich dann die sehr stimmige Zugabe des Abendsegens aus Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ als Aufheller, der die Besucher versöhnt entließ.
Nun hoffen wir, dass nach der Genesung der Erkrankten uns Lars Karlin mit seinen Freunden des Posaunenquartetts seine Bruckner- und Bachbearbeitungen und vor allem Derek Bourgeois Opus 117 sowie Rainer Lischkas „unzertrennliches Quartett“ nachliefern werden.


Thomas Thielemann