16 Mai 2022


Finale des Capell-Virtuosi in Dresden

Antoine Tamestit beschließt seine Staatskapellpartnerschaft mit einem Rezitativ

Im Orchester sitzen die Bratscher üblicherweise eingeengt zwischen den virtuosen Geigen und den klangsatten Celli. Recht oft sind ihnen in der Partitur wenig interessante Füllstimmen zugedacht. Dabei verfügt die Bratsche mit ihrer tieferen und besonders proportionierten Tonfarbe über exzellente Klangpotentiale.

Mit seinen Interpretationen von „Konzerten für Viola und Orchester“ von Béla Bartók (1881-1945) und William Walton (1902-1983) im Rahmen der Symphoniekonzerte in Dresden und Salzburg sowie der Kammermusik von György Kurtág (* 1926) bzw. Johannes Brahms (1833-1897) beim Kammerkonzert der Osterfestspiele 2022 hatte uns Antoine Tamestit bereits überzeugende Argumente für die Eigenständigkeit und Leistungsfähigkeit seines Instrumentes geboten. Mit seinen Zugaben, jeweils mit Orchestermusikern gespielt, hatte er sogar manchen verblüfft.

Neben dem rauchigen Sound der Viola hatten uns auch ihre jazzigen bis hin zu schlagzeugartigen Effekten reichenden Möglichkeiten der Bratsche überrascht.

Die „Gustav Mahler“ der Stiftung Habisreutinger 1672 von Antonio Stradivari (um 1648-1737), noch während seiner Lehre bei Nicolo Amati (1596-1684) gebaut, dürfte die älteste erhaltene Viola des Cremonaer Meisters sein. Bis 1872 befand sich das Instrument, als eine von mehr als zehn Stradivaris in der Sammlung des Birminghamer Stifte Herstellers Joseph Gillott (1799-1872). Nach dessen Tod gelangte die Bratsche, nachdem die gesamte Gillott-Sammlung für 51 £ verkauft worden war, über einige Zwischenbesitzer zum Freiburger Geigenbauer Hans Schicker (1924-2001). Anlässlich des einhundertsten Geburtstags Gustav Mahlers (1860-1911) erwarb der Schweizer Textil-Produzent und Hobby-Cellist Rolf Habisreutinger die Viola und überführte sie 1990 in die „Stradivari Stiftung Habisreutinger“.

Seit dem Februar 2008 stellt die Stiftung die Viola Antoine Tamestit zur Verfügung, der sich als dem Instrument dienender Spieler versteht.

Der französische Pianist Cédric Tiberghien (*1975) hatte für die Matinee den Klavier-Part übernommen.

Die „Sonate für Viola da gamba und Cembalo Nr.2 D-Dur (BWV 1028)“ hat Johann Sebastian Bach (1685-1750) als er als Kapellmeister und Kammermusikdirektor am Köthener Hof wirkte. Für viele gilt Bachs Köthener Zeit von 1717 bis 1723 als die kreativste seines Schaffens.

Das Adagio der Sonate ist ein ausdrucksvoller Zwiegesang zwischen der Viola und der Oberstimme des Klaviers. Mit seiner Kürze wirkt es wie eine Einleitung zum fröhlich-tänzerischen Allegro, dem ein weit gespanntes wehmütiges Andante folgt. Das Allegro brachte einen lebendigen Schluss, der wie ein munteres Bächlein daherkam.

Antoine Tamestit und Cédrik Tiberghien erwiesen sich als ein absolut stilsicher harmonisiertes Duo. Beide Musiker bewegten sich stets in die gleiche Richtung, vermieden jedes Drängeln. Bei den Trillern absolut synchron, arbeitete der Pianist die Echoeffekte exakt heraus, während die Bratsche im tiefen Bereich kraftvoll summen und im Hohen tenoral jubeln konnte.

Die Entstehungsgeschichte der „Sonate für Viola und Klavier f-Moll op. 120 Nr.1“ von Johannes Brahms (1833-1897) hat, wie so oft in der Bratschen-Literatur, ihre Besonderheit. Brahms, der sich eigentlich 1890 vom Komponieren zurückziehen wollte, hatte 1894 für den Meininger Solo-Klarinettisten Richard Mühlfeld (1856-1907), mit dem Brahms eine innige persönliche und musikalische Freundschaft verband, die Klarinettensonaten op. 120 geschrieben. Für den Fall, dass der Klarinettist Mühlfeld für die Frankfurter Erstaufführung aus irgend einem Grunde verhindert sein könnte, hatte Brahms der „Guten Vorsicht Halber“ den Geiger Joseph Joachim (1831-1907), als Partner für des Komponisten Klavierspiel eingeladen und vorsorglich eine Bratschen-Stimme der Sonate vorbereitet.

Mühlfeld spielte zwar, aber Brahms schickte beide Fassungen zu seinem Verleger Fritz Simrock (1837-1901), der mit der Herausgabe jener Verlegenheits-Variante die Bratschen-Musikliteratur bereicherte.

Mit ihrer Interpretation betonten Antoine Tamestit und Cédrik Tiberghien den musikalischen Reichtum der Komposition. Die Viola mit einer schier endlosen Palette von Klangfarben, die mit der betonten Intensität sich von der Zurückhaltung des Klaviers doch etwas absetzte.

Die Miniatur „Berceuse op. 16“, zu Deutsch: ein Wiegenlied, 1879 von Gabriel Fauré (1845-1924) für Violine und Klavier eigentlich beiläufig geschrieben, brachte, ob seiner Popularität und der Vielzahl der Bearbeitungen seinem Schöpfer vorübergehend den Ruf des „Salonkomponisten“ ein. Neben Faurés Original- und einer Orchesterfassung gibt es Arrangements für Oboe und Klavier, Panflöte und Klavier, Saxophon und Klavier, Oboe und Harfe, Gitarre und Hackbrett; Solo-Gitarre, Vokalise und Klavier und eben auch für Bratsche und Klavier.
Auch von Fauré s „Sicilienne op. 78“ gibt es mehrere Bearbeitungen und Verwendungsmöglichkeiten. Entstanden im Jahre 1893 als Bühnenmusik für Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann“ wurde es wenig später in London in Maeterlincks symbolistisches Drama „Pelléas und Mélisande“ eingefügt.

Im Konzert war zu erkennen, wie beide Instrumente und vor allem ihre Spieler hervorragend aufeinander abgestimmt waren. Das Klavier ließ dem Singen der Viola den Vortritt, so dass ein unaufgeregtes romantisches Klangbild entstehen konnte. Der Verzicht auf exaltierte Dynamik verhalf den Melodien in ihren Zusammenklängen zu einer faszinierenden Transparenz.

Das ursprünglich als Klavierlied nach einem Text von Romain Bussine (1830-1899) geschriebene „Après un rěve op. 7 Nr. 1“ beinhaltet alle Sehnsüchte und Erinnerungen eines aus einem Liebestraum erwachenden Träumers. Ekstatisch hatte der Dichter, Bariton und Gesangslehrer Bussine mit allen Freud’schen Implikationen die nostalgischen Gefühle nach einer vergangenen Liebe erleben lassen.

Die Bratschistin, Komponistin und Musikpädagogin Rebecca Clarke (1886-1979) wurde als Tochter einer Deutschen und eine Amerikaners in einer Musik-affinen Familie bei London geboren. Früh begann sie mit der Vertonung von Gedichten. Familiäre Streitigkeiten, unter anderem wegen ihrer Kompositions-Versuche brachten sie frühzeitig zu selbstständiger Konzerttätigkeit.

Die „Sonate für Viola und Klavier“ hatte Rebecca Clarke 1919 anonym zu einem Wettbewerb eingeschickt. Die Juroren vermuteten, dass Maurice Ravel (1875-1937) der Anonymus sei und waren verblüfft, dass eine Frau die Komposition eingereicht habe. Es wurde sogar bestritten, dass es die Person „Rebecca Clarke“ gäbe und das ihr Name ein Pseudonym für Ernest Bloch (1885-1977) sei.

Heute zählt die Viola-Sonate der Rebecca Clarke zum Standardwerk aller Musiker dieses Instruments.

Die Sonate beginnt mit einem eindringlich-intensiven Impetuoso, dass von den beiden Interpreten spannend und farbenfroh gespielt wurde. Das Scherzo folgte als gleichsam packender Übergang zu einem schillernden schwärmerisch brillant-fließendem Finalspiel der Viola, das vom Klavier mit raffinierten Phrasierungen unterstützt wurde.

Antoine Tamestit ließ es sich nicht nehmen, Rebecca Clarke mit ihrer Bedeutung für die Bratschen-Musikliteratur zu würdigen, und als Zugabe ein späteres Werk der Komponistin mit seinem Klavier-Partner zu spielen.

Das doch ziemlich gemischte Publikum spendete reichlich und begeisterten Beifall.

 


Thomas Thielemann