15 Nov 2022


4. Symphoniekonzert -Felix Mendelssohn Bartholdy -Zum 175. Todestag

Die Staatskapelle Dresden ehrt einen großen Vorgänger-Kapellmeister
Am 4. November vor 175 Jahren ist der Gewandhauskapellmeister Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) im Alter von nur 38 Jahren in Leipzig verstorben.
Weniger bekannt ist, dass Mendelssohn Bartholdy auch den Titel eines „Königlich Sächsischen Kapellmeisters“ trug und damit zur Reihe der früheren Chefdirigenten der Dresdner Staatskapelle gehört.
Im Jahre 1841 hatte er das Oratorium für Soli, Chor, Orgel und Orchester „Lobgesang“, seine spätere zweite Symphonie, dem sächsischen König gewidmet und war dafür von Friedrich August II. (1797-1854) zum Hofkapellmeister ernannt worden.
Felix Mendelssohn ist in Hamburg geboren, um der französischen Besetzung zu entgehen, verlegte sein Vater Abraham Mendelssohn (1776-1835) den Wohnsitz der jüdischen Familie nach Berlin. Im Jahre 1816 ließ Abraham seine Kinder Felix, Fanny (1805-1847), Rebecca (1811-1858) und Paul (1812-1874) evangelisch taufen und fügt dem Familiennamen den „christlichen“ Zusatz „Bartholdy“ zu.
Als Felix Mendelssohn 1829 nach einer erfolgreichen Konzertsaison mit seinem Freund Carl Klingemann (1798-181862) durch Schottland, und später allein nach Wales wandert, wird er von einem Bleiminen-Besitzer in dessen Bergwerk geführt. Fünfhundert Fuß unter der Erdoberfläche kam der Gedanke, dass er zwar getauft, aber noch kein Glaubensbekenntnis abgelegt habe.
Mit einer „Symphonie zur Feier der Kirchenrevolution in D-Dur/d-Moll“ erinnerte Felix Mendelssohn Bartholdy an den 300. Jahrestag der Augsburger Konfession von 1530 und würdigte das reformatorische Glaubensbekenntnis von Philipp Melanchton und Martin Luther.
In die Komposition ließ er einfließen, was ihn in der Zeit um 1830 beschäftigte: die Lieder Martin Luthers mit dem „Eine feste Burg ist unser Gott“, seine Auseinandersetzung mit der Musik Johann Sebastian Bachs, dessen Wiederaufführung der Matthäuspassion durch die Berliner Singakademie und nicht zuletzt dem Zitat des „Dresdner Amens“. Diese religiöse Assoziation, die dem Hofkomponisten und Kirchenkompositeur am Sächsischen Hofe Johann Gottlieb Naumann (1741-1801) zugeschrieben wird, war zunächst Abschluss der katholischen Liturgie des königlich-kurfürstlichen Hofes, wurde aber rasch in den lutherischen Kirchen der Stadt heimisch. Neben Mendelssohn Bartholdy wurde das schlichte, prägnante Thema unter anderem von Louis Spohr, mehrfach von Richard Wagner, von Carl Loewe, Anton Bruckner und von Gustav Mahler sowie in der Filmmusik für „Das Boot“ verwendet.
Wegen der Julirevolution in Frankreich von 1830, deren Unsicherheiten auch in Deutschland wirkten, fanden die offiziellen Feierlichkeiten in Berlin und in Augsburg zum 300. Jubiläum der „Confessio Augustana“ nicht statt. Für eine Aufführung in Leipzig fehlte das Notenmaterial und in Paris streikten die Musiker.
Felix bemühte sich deshalb zunächst um die Aufarbeitung seiner Schottischen Reise-Eindrücke. Aus einundzwanzig Takten einer nach dem Besuch der Höhle des mystischen Keltenkönigs Fingal spontan aufgezeichneten Skizze entstand die Ouvertüre „Die Hebriden oder die Fingalshöhlen“, sein Opus 26. Auch an der a-Moll-Symphonie, der späteren „Schottischen Symphonie Nr. 3“ arbeite er weiter.
Im Mai 1830 bricht er zu einer Bildungsreise auf, die ihm vor allem die Italienische Kultur erschließen sollte.
Bereits während der Reise beginnt er mit der Komposition einer A-Dur-Symphonie. Obwohl diese als „Italienische Symphonie op. 90“ in Mendelssohns Werkgeschichte eingegangene Werk im Mai 1833 in London mit großem Erfolg aufgeführt worden war, haderte er mit der Komposition und überarbeitete sie mehrfach. Selbst in seinem Nachlass fanden sich Skizzen, die auf eine weitere Fassung deuten, so dass die „Vierte Symphonie“ erst 1851 mit der hohen Opus-Zahl veröffentlicht worden ist.
Um die Reformations-Symphonie bemühte sich Mendelssohn mit dem Dirigat einer Aufführung am 15. November 1832 in Berlin, die aber nicht zum Erfolg führte, so dass der Komponist das Werk zurückzog. Es erschien erst 1852 im Druck und blieb als fünfte Symphonie mit der hohen Opus-Zahl 107 in der Werkgeschichte des Komponisten.
Nachdem der Leiter der Berliner Singakademie Carl Friedrich Zelter (1758-1832) verstorben war, hatte sich Mendelssohn um dessen Nachfolge beworben. Wegen seiner Jugend und möglicherweise wegen antisemitischer Vorbehalte wurde ihm der amtierende Direktor Carl Friedrich Rungenhagen (1778-1851) vorgezogen, so dass Felix Berlin in Richtung Düsseldorf und später nach Leipzig verließ.
Im Jahre 1840 berief der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) den erfolgreichen Gewandhauskapellmeister mit der Ernennung zum „Direktor der Musiksektion an der Königlichen Akademie der Künste“ nach Berlin. Aber die Pläne, Berlin zur Kunsthauptstadt im deutschsprachigen Raum zu gestalten, erlebten massive Widerstände und entwickelten sich kaum. Man muss schon in den Briefwechsel zwischen Mendelssohn und Ferdinand David schauen, dass Felix lange und intensiv um das Berliner Projekt gekämpft hat. Der „Guten Vorsicht halber“ war die Leipziger Wohnung nicht aufgelöst worden. Die Verbindungen zum Gewandhaus-Orchester waren mit zahlreichen Gastdirigaten aufrecht behalten geblieben und 1843 hatte er mit dem „Conservatorium“ in der Stadt die erste Musikhochschule Deutschlands gegründet, so dass Mendelssohn im September 1845 wieder die Stelle des Gewandhaus-Kapellmeisters übernehmen konnte. Da halfen weder die Ernennung zum „Königlich Preußischen Kapellmeister“ noch 1842 die zum „Preußischen Generalmusikdirektor“.
Es wurde berichtet, dass Mendelssohn unangemeldet in eine Probe des Gewandhausorchesters platzte. Der Konzertmeister Ferdinand David (1810-1873) übergab den gerade erhobenen Taktstock dem Ankömmling und setzte sich an das Konzertmeister-Pult.
Mendelssohn war von der Willkommensgeste so berührt, dass er das seit 1838 konzipiertes und 1844 fertig gestellte Violinkonzert e-Moll dem Freund widmete.
Das „Violinkonzert e-Moll op. 64“ hatte Julia Fischer im Jahre 2012 bei ihrem ersten Konzert mit der Sächsischen Staatskapelle gespielt. Inzwischen hat sich die Solistin als Persönlichkeit und künstlerisch deutlich weiter entwickelt.
Die technischen Hürden des Konzertes meisterte sie am 14. November 2022 mit einzigartig-souveränem Spiel, das mit seiner berückenden Klarheit breit intoniert und zugleich melodiös wirkte. Die Überleitungen spielte sie mit erlesener Eleganz und erweckte den Eindruck eines natürlichen Fließens. Ihre Tempobeschleunigungen blieben beherrscht, voller Leichtigkeit und apart.
Gestützt wurde der großartige Eindruck vom warmen, weichen Timbre ihrer Violine aus der Mailänder Zeit der Werkstatt des Giovanni Battista Guadagnini (1711-1786), das bei aller Fülle stets transparent und klar geblieben war.
David Afkham legte vom Beginn ein straffes Tempo an, ohne den Eindruck eines Gehetzten zu erwecken. Der Dirigent blieb auch drängend, ohne die Solistin einzuengen. Es wäre ihm wahrscheinlich auch nicht möglich geworden.
Auch bei den Orchesterpassagen sicherte er eine elegante und präzise Dynamik.
Dass Frau Fischer heftig vom überwiegend Dresdner Publikum gefeiert worden ist und sie sich mit Paganinis Caprice Nummer 13 bedankte war zu erwarten.
Die Darbietung des Violinkonzertes wurde von Mendelssohn Bartholdys Konzert-Ouvertüre „Die Hebriden op. 26“ und der „Dritten Symphonie a-Moll op.56 #Schottische#“ eingerahmt.
Bereits mit der das Konzert eröffnende Ouvertüre konnte David Afkham (Jahrgang 1983) bei seinem Debüt-Konzert der Sächsischen Staatskapelle dem Ruf als einem Orchesterleiter der Zukunft gerecht werden. Vitalität , Orchesterpräzision und klangliche Sensibilität seines Dirigats ergänzten sich hervorragend mit der Spielkultur des Orchesters. Fein abgestimmt gelang ihm der von den Bratschen, Celli und Fagotti vorgetragene musikalische Wellengang, der Keimzelle des Werkes.
Die intellektuelle und emotionale Durchdringung der Partitur prägten auch seine im zweiten Konzertteil gebotene Auslegung der „Schottischen Symphonie“. Afkhams temperamentvoller Zugriff, die schlanke Artikulation mit den spannungsvoll-variablen Übergängen formten ein kräftiges, lebensvolles Klangbild mit hochexpressiven Momenten. Da waren durchaus neue Ideen in seinem engagierten Dirigat zu entdecken. Er leitete das Orchester ohne Dirigentenstab mit kraftvollem Einsatz beider Arme und vor allen beider Hände bis in deren Fingerspitzen.
Der volle Klang der Streicher, die ausgezeichneten Blechbläser sowie die atemberaubend spielenden Holzbläser mit dem traumhaften Klarinetten-Solo sicherten vom Beginn ein fesselndes Hörerlebnis und David Afkham einen souveränen, erfolgreichen Einstand bei der Dresdner Staatskapelle.
Deshalb blieb für mich nicht nachvollziehbar, dass der Schlussbeifall im nahezu vollbesetzten Haus zunächst verhalten begann und erst, als die Leistungen der Orchestergruppen gewürdigt wurden, richtig Intensität bekam.

Thomas Thielemann