20 Nov 2022


Oper Chemnitz mit Janaceks “Das schlaue Füchslein”-Romantik und expressive Härte

Das helle Lachen der Marie Stejskalova (1873—1968), lockte Leoš Janaček (1854-1928) in das Nebenzimmer, wo die Haushälterin der Familie und spätere Schriftstellerin sich über die Bildergeschichten der kraftvoll-selbstbewussten Füchsin Bystrouschka beugte.
Der nur mittelmäßige Maler und studierte Förster Stanislav Lolek (1873-1936) hatte seine ländlichen Geschichten über einen Wildhüter und die schlaue Füchsin vom April bis zum Juni 1920 aus Broterwerbsgründen in der Brünner Zeitung „Lidové Noviny“ als fortlaufende Tages-Novelle veröffentlicht.
Der Herausgeber der Zeitung schickte einige Zeichnungen Loleks an den tschechischen Schriftsteller und Publizisten Rudolf Tésnohlídek (1882-1928) und regte eine literarisch-psychologische Verarbeitung der Geschichten an. Zunächst widerwillig, fand Tésnohlídek nach einem Waldspaziergang schlagartig Freude an der Aufgabe. Mit tiefem Einfühlungsvermögen für tierische und menschliche Charaktere, Glaube an die harmonischen Beziehungen zwischen Mensch und Natur, aber auch mit dem Wunsch Probleme zu meistern sowie Freiheiten zu erlangen schuf der von Melancholie und Depressionen geplagte Tésnohlídek seine humorvolle Novelle „Liška Bystrouška“.
Leoš Janaček, der seinerseits an der unerfüllten Verliebtheit zu seiner deutlich jüngeren Muse Kamila Stösslova (1891-1935) knabberte, nahm die Anregungen auf, schrieb ein Textbuch und komponierte eine der bezauberndsten Opern.
Der Marie Stejskalova verdanken wir auch mit „Maries Kochbuch“ die Rezepte der von der Haushälterin Mářa im Hause Janaček servierten Gerichte und mit „Hospodyne u Rodine“ einen Bericht über vierzig Jahre Leben in der Komponistenfamilie.

Vordergründig schildert die Opernhandlung das Schicksal der vom Förster eingefangenen Füchsin, die am Försterhaus aufwächst, aber dann entflieht. Ihr weiteres Schicksal, verwoben mit den Fügungen von Menschen der Umgebung des Försterhauses, bildet eine weit gefasste Metapher vom Lebensrad der Natur mit dem steten Wechsel von Eros und Tod.
Da ist das Zigeunermädchen Terynka. Sie erscheint nie auf der Szene, ist aber so gegenwärtig, dass in den 1920-Jahren einer Inszenierung des „Füchsleins“ ein Vorspiel „Die Geschichte des Zigeunermädchens Terynka“ vorangestellt worden war: der Förster hatte eine Affäre mit ihr, der Pfarrer und der Lehrer haben sich in sie verliebt. Heiraten wird sie der Wilddieb und Geflügelhändler Harašta.
So, wie die Person der Terynka mit der Bystrouška zusammen schmilzt, so gehört doch die Kamila Stösslová zu dieser Melange. Förster, Pfarrer sowie Lehrer sind letztlich die Dreieinigkeit des Leoš Janaček.
Diese unmittelbare Angefasstheit versetzte den Komponisten Janaček in die Lage, mit der Musik den gesamten verborgenen Zauber dieses Stück Lebens auf einzigartige Weise auszuschöpfen und in Töne umzusetzen. Janaček überraschte mit einer frischen aus der mährischen Volksmusik geschöpften Melodik, einer außerordentlich vielfältigen Rhythmik und einer unkonventionellen, ungekünstelten Harmonik. Seine reizvolle Instrumentation ist nie überladen und lässt uns das Leben und die Stimmung im Wald erfassen.
Wir haben noch immer eine der 218 Vorstellungen der legendären Inszenierung von Walter Felsenstein (1901-1975) der Berliner Komischen Oper mit ihrer philosophischen Tiefe und poetischen Dichte mit Irmgard Arnold (1919-2014), Rudolf Asmus ( 1921-2000) bzw. Werner Enders (1924-2005) in der Erinnerung. Die entzückende Adlershofer Studioaufzeichnung von 1965 der Felsenstein-Arbeit ist bei YouTube noch immer abzurufen.
Der aus dem Fürstentum Andorra stammend Regisseur Joan Anton Rechi holte die von Leoš Janaček mühevoll in der Fabelwelt verpackte Geschichte in die „Jetzt-Welt“ zurück und führte uns , weitab von den literarischen Vorlagen, in die schwierige Welt des psychiatrischen Erkrankungen.
Ein junges Mädchen mit erheblichen psychiatrischen Problemen wird in der geschlossenen Anstalt von einem Arzt und einer Krankenschwester mit einer Injektion versorgt. Aber offenbar wirkt die Therapie nicht, denn in ihrer Vorstellung wird sie weiter bedrängt, der Arzt bedroht sie in ihren Vorstellungen mit einem Gewehr, legt sich aber in ihrem Bett zum Schlafe.
Als die Burschen Pepik und Frantik sie in ihrer Vorstellung drangsalieren, wird sie vom Klinikpersonal fixiert.
Was diese junge Frau in ihrer Zwangslage an Vorsrellungen entwickelte, wird in der Folge von Rechi in gekonnt inszenierten Bildern auf die Bühne gebracht. Dabei ließ er sich von dem aus Magdeburg gebürtigen Modedesigner, Bühnen- und Kostümbildner Sebastian Ellrich unterstützen.
Als die Wände der Psychiatrie sich öffneten, glaubte die Kranke sich in einer Bar und lässt die Zuschauer an den die skurillsten Situationen teilhaben.
Sie „erlebt“, als der Arzt Sekt-trinkend den Körper des umschwärmten Zigeunermädchens Terinka obduziert, der Pfarrer interessiert und der Schulmeister angewidert zuschauen. Urplötzlich richtete sich die Obduzierte auf und wurde von dem Macho Hárašta als dessen Braut entführt.
Zurück bleiben die drei unglücklich in Terinka Verliebten, und so lebten der Arzt Jukka Rasilainen, der Pfarrer Alexander Kiechle und der Schulmeister Thomas Kiechle in den folgenden fast pantomimischen Szenen ihr komödiantisches Talent auf das Prachtvollste aus.
Mit ausdrucksstarker, schillernder Sopranstimme entwickelte Marie Hänsel ihr fulminantes Rollenportrait des „Füchsleins“, wenn sie in den Szenen mit dem „Fuchs Goldmähne“ der Marlen Bieber geschickt zwischen Reinheit und glutvoller Emphase changiert.
Den Musikalischen Höhepunkt des Opernabends gestalteten die beiden Ensemblemitglieder mit der zart-zögerliche Szene, als mit beiderseitigem Respekt und Vorsicht, aber zugleich voll von Verlangen und Sehnsucht die Annäherung gesucht wurde. Sanft, einfühlsam, den anderen nicht verletzen wollend, abwartend und doch drängend, entwickelten sie die Beziehung.
Spätestens hier spürt man, dass mit der Titelfigur ein Gesundungsprozess begonnen hat.
Der runde, warm leuchtende Mezzosopran Marlen Bieber ergänzt sich mit bei der folgenden Familiengründung als herrlich burschikoser Partner mit pubertärem Gehabe.
Es sind Szenen eines glücklichen Familienlebens mit einer grandiosen Kinderschar folgen, bis der zwielichtige Hárašta in die Idylle einbricht und die junge Mutter zu einer Affäre verführt.
Und gerade diese Modernisierung des Handlungsverlaufs führte uns in die „Geschlossene Anstalt“ zurück, wo sich die gesundete Marie Hänsel vom Arzt Jukka Rasilainen verabschieden kann und eine neue Patientin ihren Platz übernimmt.

Um der Musik Janačeks Gelegenheit zu einer vollen Entfaltung ihrer Sprachmelodie und Rhythmik zu geben, wurde in einer tschechischen Alltagssprache gesungen. Für jene, die mit der Oper vertraut sind, waren die deutschen Übertitel allerdings eher verwirrend, da sie kaum mit dem Bühnengeschehen korrespondierten.
Die Mitwirkenden meisterten Janačeks rezitativen Stil ohne Mühe, sangen ohne Ausnahme auf hohem Niveau. Die Balance zwischen Graben und Bühne war stets ausgewogen.
Guillermo Garcia Calvo ließ den Orchestersatz mit seiner rhythmischen Prägnanz fern jeder kitschigen Gefahrenzone transparent und dynamisch aufblühen.
Er drängt das hervorragend musizierende Orchester unnachgiebig nach vorn. Die Zeit bleibt nicht stehen-das Leben geht in all seiner Härte weiter. Das Dirigat war sowohl pointiert als auch expressiv, betonte Janačeks folkloristischen und am Sprachmelodischen orientierten Stil.
So gerieten insbesondere die breiten orchestralen Zwischenspiele zu Höhepunkten. Aber es blieb die Frage, ob die poetische Musik Janačeks dem doch, selbst bei versöhnlichem Finale, brutalem Stoff gerecht werden konnte. Auf jeden Fall muss man beklagen, dass bei der Auslegung Rechis die Poesie der Oper verloren ging, selbst wenn die Konsequenz der Inszenierung überzeugen kann.
Da konnten die besondere Magie der Bühnengestaltung und der Kostüme wenig kompensieren.

Mit der notwendigen Präsenz und Größe verleiht Jucca Rasilainen nicht zuletzt ob seiner gewaltigen Erfahrung dem Förster sprich Arzt eine eindrucksvolle kantige Gestaltung. Stimmlich und darstellerisch bot er eine sorgfältige Interpretation, lächelnd am Erotik-Abgrund, auch als die traurige Figur mit Agressionspotential.
In der Partie des Schulmeisters verzehrt sich innerlich Thomas Kiechle in romantischen Fantasien, ist in all seinem tenoralen Glanz zu erleben. Er leidet, wie seine Saufkumpane, die einer verlorenen Liebe nach trauern. So auch der Pfarrer Alexander Kiechle, der sich mit prägnantem Bass ob einer angeblichen/früheren Verfehlung mit Terinka selbst geißelt. Als Dachs konnte er seine Wohnung allerdings nicht verteidigen.
Der kernige Felix Rohleder schmetterte im Brustton der Überzeugung.
den Widerwillen des bedrohlichen Hárašta gegen das Andere, Glücklichere in die Welt.
Eine temperamentvolle Försterin, Eule und Krankenschwester war Leandra Johne. Martin Lechleitner als Gastwirt Pásek und als Mücke belebte nur kurz die Bühne.
Dazu waren noch aktiv: Daria Kalinina als Hahn und Eichelhäher, vom Opernstudio Chemnitz Anna Grycan als Dackel und Specht sowie Tea Trifkovic als Schopfhenne und Frau Pásková sowie die Terynka der Christin Bartel aus der Statisterie des Opernhauses Chemnitz.
Das böse Bubenpaar Pepik und Frantik waren von Jung-Eun Park sowie Elžběta Laabs auf die Bühne gebracht.
Die Solisten vom Kinder- und Jugendchor hatten durchaus anspruchsvolle Aufgaben: Xara Emilia Köhn als junges Füchslein Schlaukopf, Karl Kramny als Grille, Rosalie Nötzold als Heuschreck und Katja Burghart als Junger Frosch lockerten das Geschehen auf.
Der von Stefan Bilz vorbereitete Chor zeigte vor allem in Hochzeitsszene seine Qualitäten.
Der Schlussbeifall war für eine ohnehin nicht ausverkaufte Premiere zunächst unverdient verhalten –freundlich, nahm allerdings ordentlich Fahrt auf, als die Kinderdarsteller von ihren Eltern und Großeltern gefeiert wurden.
Nach Dresden zurückgekommen, werden wir Felsensteins Nähe des Originals streamen und auf uns wirken lassen.


Thomas Thielemann