Der italienische Musiker Alberto Franchetti (1860-1942) gehörte zur Gruppe der „Giovane Scuola“, der „jungen Schule“, einer Gruppe von Opernkomponisten, die auf die Dominanz Guiseppe Verdis (1813-1901) im italienischen Opernbetrieb mit vorwiegend an französischen und deutschen Vorbildern orientierten Werken reagierten. Alfredo Catalani, Francesco Cilea, Umberto Giordano, Giacomo Puccini, Ruggero Leoncavallo und Pietro Mascagni, um nur einige zu nennen, bereichern noch immer das Repertoire unserer Opernhäuser. Puccini galt als der melodischste, Mascagni als der leidenschaftlichste, aber Franchetti als der gebildetste und gelehrteste der Komponisten seiner Generation. Der in Turin geborene Francetti war in den Jahren von 1890 bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts mit seinen Opern ein durchaus erfolgreicher Komponist. Seine Werke „Asrael“ (1888), „Cristoforo Colombo“ (1892), „Germania“ (1902), „Notte di Legenda“ (1915) und „Glauco“ (1922) wurden weltweit aufgeführt.
Im Jahre 1931 schlug ihm der Schriftsteller Giovacchino Forzano (1884-1970) vor, seine Komödie „Don Buonaparte“ zu vertonen. Ob es bei der Wahl der fiktiven Handlung einen Zusammenhang zwischen der von Napoleon Bonapartes (1769-1821) verfügten Trennung von Kirche und Staat im Jahre 1801 und dem darauf folgenden Konkordat des französischen Konsuls mit dem Papst Pius VII. gegeben hat, ist nicht zu belegen. Napoleon hatte aber damals begriffen, dass die Mehrheit der Franzosen katholischen Glaubens war und er sich nur mit der Entsendung eines Vertrauten in das Kardinalskollegium beim Vatikan Einfluss erhalten konnte. Francetti nahm 1939 die Anregung auf und stellte zwei Jahre später die Oper fertig. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurden aber ab 1938 seine Opern wegen der Rassengesetze selbst in Italien nicht mehr gespielt, so dass „Don Buonaparte“ 1941 nicht zur Aufführung kam. Aber immerhin sind Melodie-Fetzen in die von Flavio Calzava (1900-1981) vorgenommene Verfilmung der Komödie Forzanos eingeflossen. Kurz vor seinem Tode übergab Alberto Francetti seinem Sohn Arnold (1911-1993) die Partitur; er solle sie retten. Das mit Bleistift geschriebene Notenmaterial überstand Arnolds Partisaneneinsätze und gelangte mit ihm in die Vereinigten Staaten. Obwohl der auch komponierende Physikprofessor Arnold Francetti inzwischen selbst Opern schuf, hat er in der Partitur seines Vaters nur herumgekritzelt und sie ansonsten unbeachtet gelassen.
Ob es Scham des italienischen Opernbetriebes, wegen des Einknickens vor Mussolinis Kulturpolitik war, oder Francettis Schaffen den Agierenden zu intellektuell war? Im Opernbetrieb nach dem zweiten Weltkrieg tauchte Alberto Francetti nicht wieder auf, während der Rivale seiner kreativen Jahre Giaccomo Puccini zum absoluten Publikumsliebling wurde.
Bereits vor über zehn Jahren hat der Komponist und Schriftsteller Helmut Krausser das Material aufgespürt und gemeinsam mit Torsten Rasch die Intensionen des achtzigjährigen Francettis zu einer aufführungsfähigen Oper komplettiert. Wer, wenn nicht das kreative und aufgeschlossene Ensemble des Eduard-von Winterstein-Theaters sollte die Möglichkeit nutzen, dieses musikalische Kleinod zu heben, auch wenn es für das Haus eines gewaltigen Kraftakts bedurfte.
Der Pfarrer einer kleinen Gemeinde in der Toskana Don Geronimo Buonaparte wird von seinem Neffen, damals noch der Konsul Napoleon Bonaparte, aufgefordert, sich von einer Eskorte nach Paris bringen zu lassen, um an den Krönungsfeierlichkeiten teilzunehmen und daselbst den Kardinalspurpur zu empfangen. In der Folge sollte er die Interessen des Sohnes seiner Schwester Letizia am Vatikan vertreten. Die Nachricht einer sich abzeichnenden Ernennung zum Kardinal versetzte die kleine Gemeinde verständlicher Weise in Aufruhr und jeder in der Gemeinde versprach für sich glänzende Zukunftsaussichten. Die individuellen Interessen drohen die Gemeinschaft zu zerreissen. Einflüsse aus dem Umfeld sind auch nicht zu vermeiden. In Anbetracht der Instabilisierung der Dorfgesellschaft erkennt Don Geronimo, dass er in der kleinen Kommune dringender gebraucht ist, er hier Konflikte lösen muss. Auch sind seine Aussichten, etwas zu bewirken, in der Gemeinde größer sind, als in Paris oder gar in Rom. Auch in Anbetracht der zauberhaften Landschaft der Toscana schließt er einen Wechsel nach Paris oder Rom aus. Doch nicht alles dreht sich um die Beförderung zum Kardinal. Eine sich parallel aufbauende Dreiecksgeschichte fordert Don Geronimos gesamtes taktisches und strategisches Geschick: der Kirchendiener Maso möchte unbedingt Mattea heiraten, was bei ihr nicht auf Gegenliebe stößt. Das Aufkommen einer Leidenschaft zwischen Mattea und dem Korporal verändert die Situation, verkompliziert sie mit einem Fluchtversuch des Paares, nimmt aber eine Wendung mit einem völlig überraschenden modernen Verlauf.
Das Libretto Forzanos, eine quirlige Dorfkomödie voller Menschlichkeit, und die altersweise, witzige mit Augenzwinkern geschriebene Musik Franchettis bilden eine faszinierende Einheit. Die Schöpfer der Komödie schildern die Gemeinschaft eines Dorfes, die kurz vor dem Auseinanderbrechen stand. Diese fragile Situation reflektiert sich in der musikalischen Sprache, wenn sich Passagen von großer Ausdruckskraft und harmonischer Unregelmäßigkeit mit geschlossenen Stücken abwechseln. Franchettis Konstruktionen haben stets eine klassische Ausgewogenheit, die ihnen auch bei viel Bewegung einen feierlichen Charakter verleiht. Erinnerungen an eine sogenannte heile Welt werden geweckt, wenn Don Bounaparte im zweiten Teil mit einem Monolog die Schönheiten der Toskana besingt. Und trotz des zumeist zärtlichen Charakters der Musik fehlt es nicht an monumentalen Szenen. Dem gealterten Franchetti fiel es gelegentlich schwer, Melodien zu finden, so dass seine Motive manchmal stockend beginnen, sich nur zögerlich entwickeln und dem Gesang die freie Entwicklung verzögern.
Lev Pugliese, der aus einer italienischen Familie mit langer Geschichte der Betätigung in der Live-Unterhaltung, der Oper sowie klassischen Musik stammt, und weltweit an renommierten Häusern als Regisseur und Ausstatter arbeitete, hatte dem Werk eine angemessene Inszenierung verschafft. Der für seine kreative und innovative Herangehensweise an neue Werke bekannte Künstler stellte eine mit ihrer visuellen Ästhetik die emotionale Tiefe der Musik erfassende Arbeit vor. Ausstatter von Uraufführungen haben es ohnehin einfacher, wenn sie sich nicht an einer Fülle von Inszenierungen eines populären Werkes messen lassen müssen. Deshalb konnte Pugliese ohne Verfremdungen einen farbenfrohen Kirchplatz sowie die realistische der Küche des Pfarrhauses auf die Bühne bringen und mit Kostümen, wie wir uns die bäuerische Kleidung von um 1800 so vorstellen können, aufwarten.
Herausgekommen war eine traditionelle „Stadttheater-Aufführung“ im besten Sinne im Stil der Entstehungszeit der Oper, in der sich auch der traditionell wertkonservative Zuschauer wohlfühlen konnte. Turbulente Szenen mit ruhigen Bereichen wechseln und demonstrieren die hohe Kunst seiner Personenführung.
Was das homogene Ensemble des Hauses kann, hat es in der vergangenen Zeit mehrfach unter Beweis gestellt. Derzeit sind neun Singende fest engagiert, die den Hauptanteil der Rollen besetzen konnten.
Allen voran Làslò Varga mit seiner glänzenden Darstellung der Titelrolle. Varga sang mit einer tüchtigen Dosis Witzigkeit und vor allem mit einer prächtigen, klangvollen Stimme. Mit seinem imposanten, weich abgerundeten Bassbariton hatte er keine Mühe, den Raum zu füllen. Seine schauspielerische Leistung entsprach der Komplexität des Don Geronimo-Charakters: kreativer Witz, Einfallsreichtum sowie immer mit der Neigung, eine Führungsrolle zu übernehmen, zu behalten und in der verfahrensten Situation eine Lösung zu bieten. Das betraf sowohl den Umgang mit den Mitgliedern der Dorfgesellschaft, als auch mit den Pariser Abgesandten und vor allem mit den Korrumpierversuchern.
Ihm zur Seite stand die handfeste, robuste Haushälterin Agnese von Maria Rüssel, die ziemlich deutlich mehr wollte, als nur kochen und Unterhosen waschen. Sie mischte sich in des Pfarrers Amtsgeschäfte ein und war nicht um wohlgemeinte Ratschläge für jedermann verlegen. Mit klangvollem Mezzosopran und engagiertem Spielen bereicherte sie die Szene mit jedem ihrer Auftritte.
Der Mattea haben Librettist und Komponist eine besondere Bedeutung zugemessen. Elternlos war sie mit einer Vormundschaft Don Geronimos von der Maria aufgezogen worden. Das gesamte Umfeld sieht ihre Zukunft in einer Ehe mit dem Kirchendiener Maso. Auch Marias Sorge um die Zukunft ihrer Ziehtochter Mattea fokussierte sich auf diese Ehe. Bettina Grothkopf spielt und singt diese Rolle erwartungsgemäß grandios. Mattea, eine zu betörender Schönheit aufgeblühte selbstbewusste junge Frau wurde von der begabten Sophia Keiler dargeboten. Sie sträubt sich energisch gegen die ihr zugedachte Zukunft mit einem tölpelhaften Partner. Die von Don Geronimo eingefädelte Schonfrist eines Jahres schmilzt, als Mattea den Avancen des Korporals unterliegt. Mit klangvollen Stimmen, Kerem Kirk mit lupenrein strahlendem Tenor und Sophia Keiler mit saubererem tragfähigem Sopran, bieten beide beeindruckende Momente, die jedoch vom gekonnten Gejammer des Corentin Backès begleitet wurden.
Eine komödiantische Leistung der besonderen Art war der Versuch einer unheiligen Dreisamkeit, wenn der Mönch Volker Tancke, der Ritter Jakob Hoffmann und der Advokat Richard Glöckners dem künftigen Kardinal Làslò Varga unlautere Geschäftsbeziehungen abringen wollten. Vier gut zueinander passende Stimmen, gestalteten auch diese Szene zu einem musikalischen Glanzstück.
Nicht zu vergessen, der von Daniele Pilatus großartig vorbereitete Chor. Einige seiner Mitglieder waren außerdem, so mit dem großartigen Bassisten Jinsei Park in der Schlüsselrolle des Generals, mit Volker Tancke in der Partie „ein Mönch“, mit Lukáš Šimonov als Spinosa und mit Yuta Kimura als die Stimme aus der Entfernung, zu erleben. Dazu waren Christian Harnisch, Heinz-Michael und Leo Tennler als Soldaten, als Kleindarsteller zu sehen.
Ein großes Kompliment an die Erzgebirgische Philharmonie Aue. Der Generalmusikdirektor des Hauses Jens Georg Bachmann stellte die Originalität der eigentlich in der Zeit der 1900-Jahre verorteten Orchestersprache des späten Alberto Francetti mit viel Engagement und Begeisterung ohne nostalgische Aspekte bestens heraus. Seine umsichtige Leitung des etwa 35 Musiker umfassende Orchesters nutzte geschickt die akustischen Möglichkeiten des mit seinen 295 Sitzplätzen nicht gewaltig großen Raumes, die uns bisher unbekannte, aber über Strecken doch bekannt vorkommende Musik, zu vermitteln. Mit viel Begeisterung und künstlerischer Leichtigkeit und dennoch präzise wurde von den Musizierenden gespielt. Alle Fäden liefen im umsichtigen Dirigat von GMD Bachmann zusammen, so dass immer eine zuverlässige Kommunikation mit dem Bühnengeschehen bestand.
Eine selten intensive und langanhaltende Begeisterung war zum Abschluss zu erleben.
Thomas Thielemann
Autor des Bildes: © Ronny Küttner/Photoron

Credits:
Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz
Premiere der Uraufführung am 14. Oktober 2023
Alberto Franchetti: Don Buonaparte
Inszenierung und Ausstattung: Lev Pugliese
Chorleitung: Danielo Pilato
Dramaturgie: Lür Jaenicke
Musikalische Leitung: GMD Jens Georg Bachmann
Erzgebirgische Philharmonie Aue
Autor der Bilder:©Ronny Küttner /Photoron