10 Nov 2021


Christian Thielemann ehrt einen großen Vorgänger

Zum 175. Geburtstag des Ernst von Schuch

Als im Jahre 1872 der umtriebige Sänger und Impresario Bernhard Pollini mit einer hervorragenden italienischen Operntruppe von Lemberg kommend in Dresden gastierte, brachte er als Dirigenten den 1846 in Graz geborenen Ernst Schuch mit. Der noch unbekannte Kapellmeister löste beim Publikum, aber vor allem bei den Musikern der Königlichen Hofkapelle, Enthusiasmus und Begeisterung aus, als er „ohne jede Probe“ eine Aufführung wagte und mit offenbar schlechtem Notenmaterial das recht differenziert aufgestellte Orchester zu anspruchsvollen Leistungen führte. Vor allem begeisterte der 26-Jährige den damaligen Direktor der Dresdner (italienischen) Hofoper, den Grafen Julius von Platen-Hallermund (1816-1889), der Schuch am 1. August 1872 als Musikdirektor des Königlichen Hoftheaters engagierte. Recht rasch wurde er zum Kapellmeister, 1882 zum Musikdirektor und schließlich 1889 zum Generalmusikdirektor befördert.

Schuch formte das Haus zu einer der führenden Musikbühnen, erweiterte die Hofkapelle zur berühmten Klangkultur und schuf mithin ein Ensemble von Weltruf. Mit diesem pflegte er das Repertoire seines Amtsvorgänger Richard Wagner, den er verehrte. Dem Dresdner Publikum erschloss er dessen spätere Kompositionen und präsentierte das Wirken der zeitgenössischen italienischen und slawischen Opernkomponisten.

Die Arbeitsbeziehung und spätere Freundschaft Ernst von Schuchs mit dem achtzehn Jahre jüngeren Richard Strauss (1864-1949) verdanken wir Bolko von Hochberg, dem Intendanten der Berliner Lindenoper. Im Verbund mit preußischen Zensoren verhinderte er aus moralischen Gründen eine dortige Uraufführung der Oper „Feuersnot“ des jungen Hofkapellmeisters Strauss. So kam es 1901 „trotz mancher sittlicher Bedenken“ zur Aufführung dieser Kritik an kleinbürgerlicher Doppelmoral in Dresden und vor allem zur intensiven und langandauernden Schuch-Strauss’schen-Partnerschaft.

Schuch verstand, so Strauss, jede meiner Bitten. Ein Blick, ein Kopfnicken- ich oder er-, und das Verstehen war da.

Der „Feuersnot“-Uraufführung folgte 1905 die Erstaufführung der „Salome“ nach Oskar Wilde, 1909 der „Elektra“ und 1911 mit Hugo von Hofmannsthals Libretto und Max Reinhardts Regie „Der Rosenkavalier“. Mit Sonderzügen wurden Opernfreunde nach Dresden gebracht, um Strauss-Schuch Reinhardts-Arbeit zu erleben.

Außer der Musik verband die Beiden gutes Essen und das Skatspielen jedoch so manche Unstimmigkeit zwischen ihnen musste die Freundschaft überdauern, zumal der Komponist den Sängerinnen und Sängern nicht nur beim Singen, sondern auch mit den erotisch aufgeheizten Stoffen der Opern einiges flaue Unbehagen bescherte.

Obwohl Strauss dem Freund mitteilte, „wenn Sie (!!!) nicht wären, könnte mir das gesamte Dräsden gestohlen bleiben“, überlebte auch der Tod Ernst von Schuchs die Verbindungen des Richard Strauss zur Staatskapelle und brachte mit „Intermezzo“ (1924), „Die ägyptische Helena“ (1928), trotz politischer Einflussnahme 1933 „die schweigsame Frau“ und mit 1938 „Daphne“ insgesamt neun Opernuraufführungen des Komponisten nach Dresden.

Auch als Konzertdirigent setzte sich Schuch für Werke von Felix Dräseke, Gustav Mahler und Richard Strauss ein und brachte gleichfalls Erstaufführungen nach Dresden.

In den zweiundvierzig Jahren der Schuch-Ära kamen insgesamt 51 Ur- und 120 Erstaufführungen zustande.

Schuchs Persönlichkeit wird als faszinierend beschrieben: überlegen in der Führung des musikalischen Apparats, dynamisch in seinem Wesen, unerbittlich in seinen Forderungen, aber menschlich im persönlichen Umgang.

Tagsüber übertrug der Generalmusikdirektor die „Schuchsche Hetz und Hast“ auf seine Mitarbeiter, strahlte dagegen am Abend während der Vorstellung eine stoische Ruhe und Sicherheit aus.

Die Schuchs führten in Radebeul-Niederlößnitz ein ruhiges Landleben mit österreichischer Gastfreundschaft und einer Köchin, die von Johann Strauß „ab-engagiert“ war. Wohl alle namhaften Musiker und Theaterleute der Zeit waren dort ohne Förmlichkeiten zu Gast gewesen. Einer der Nachbarn war die Familie von Karl May, mit der mäßiger Umgang gepflegt wurde.

Die kunstsinnige Familie fühlte ich in Sachsen einfach wohl. Hatte der Geheime Hofrat Schuch Probleme mit der Intendanz, so ging er zum König. So erreichte Schuch beim König den Rückbau einer 1910 vom Grafen von Seebach (1854-1930) im Orchestergraben der Oper veranlasste bauliche Veränderung.

Für die Fahrten des Maestro in den Semperbau war zur Probenzeit ein Eisenbahn-Sonderzug, genannt der „Schuch-Zug“, von der Station „Weintraube“ eingerichtet.

Den Verlockungen von Berufungen an die Wiener Oper lehnte er zumindest zweimal ab. Da half auch die Verleihung des Titels eines „Edler von Schuch“ im Jahre 1898 durch Kaiser Franz Joseph nicht.

Nur wenige Gastdirigate führten Ernst von Schuch nach Berlin, München, Wien, Paris und Bayreuth.

Am 10. Mai 1914 endete wenige Tage nach der Dresdner Erstaufführung des Parsifal die Ära Schuch mit dem Versterben des großen Musikers.

Zum Anlass des 175. Geburtstags ehrte die Sächsische Staatskapelle Dresden am 6. November 2021 den prägendsten Generalmusikdirektor ihrer Orchestergeschichte mit einem Konzert unter der Leitung eines der profiliertesten Nachfolger Schuchs Christian Thielemann und erinnerte an die fruchtbare Partnerschaft Ernst von Schuchs mit Richard Strauss.

Mit der Vertonung eines Gedichts von Joseph von Eichendorf „Im Abendrot“ versuchte der Vierundachtzigjährige die schwierigen Lebensumstände der Nachkriegszeit zu bewältigen. Strauss lebte ohne festen Wohnsitz  in der Schweiz, war wegen seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus umstritten. Die zitterige Handschrift des Autographs deutet, welchen Ursprung diese Musik hat. Nur als persönliches Bekenntnis, dem nahen Tod entgegenzugehen, ist das im Mai 1948 komponierte „Im Abendrot“ zu begreifen.

Die drei Lieder nach Hermann Hesse sind später entstanden, nachdem die Familie zufällig in einem Schweizer Hotel mit dem Lyriker zusammengetroffen war. Bei Hesse fand Strauss den Weg zu überzeitlichen, humanistischen, ein Menschenleben überdauernde Werte. Da war noch einmal der Versuch einer optimistischen Grundstimmung zu spüren.

Entsprechend differenziert interpretierte die Wahl-Dresdnerin Camilla Nylund im Gedenkkonzert den für mich nicht unproblematischen eigentlich „Nicht-Zyklus“ der vier Letzten Lieder: die Hesse-Lieder stimmbetont mit ihrem enormen wunderbaren Sopran und das abschließende „Im Abendrot“ entsprechend gefühlsbetonter.

Mit warmem Grundton ließ Christian Thielemann die Musik fließen, das Orchester licht und bei aller Transparenz zwar melancholisch, aber auch versöhnlich spielen.

Im zweiten Konzertteil wurde Richard Strauss „Ein Heldenleben“ intoniert.

In München wollte man dem selbstbewussten noch nicht fünfunddreißigjährigen Richard Strauss den 1897 vakanten Posten des Generalmusikdirektors nicht geben, weil er den Verantwortlichen noch zu unerfahren galt. Dabei waren seine Erfolge als Opern- und Konzertdirigenten in Meiningen, Weimar nebst München gefestigt und sein Kompositions-Werkverzeichnis bis zur Ziffer vierzig vorgedrungen. In Berlin fand er 1898 als  „Erster königlich –preußischer Hofkapellmeister“ beste Arbeitsbedingungen vor.

Noch vor seinen Opernerfolgen arbeitete er, fast trotzig, an zwei symphonischen Tondichtungen: dem Satyrspiel „Don Quichote“ mit der literarischen Figur im Zentrum und einem Stoff „eines nicht näher bezeichneten anonymen Helden, der sich ebenso gegen echte oder eingebildete Widersacher auflehnt, liebt, kämpft und schließlich der Welt entsagt“.

Während die Don-Quichote-Tondichtung bereits 1897 fertig gestellt war, arbeitete er bis zum März 1899 am „Heldenleben-Opus 40“. Der Verdacht, mit dem Helden habe sich Strauss selbst verewigt, lag und liegt nahe. Er hat auch nie bestritten, dass er „autobiographische Mitteilungen“ durchaus verarbeitet habe. So wurde seinen Kritikern mit dem zweiten Teil der Komposition ein Denkmal als „Herde blökender Hammel“ gesetzt. Auch porträtierte er mit dem dritten Satz seine kapriziös-impulsive  Ehefrau Pauline, im Konzert von Matthias Wollongs mit einem wundervollen Violin-Solo mit sinnlichem Flair ausgestaltet.

Dem Werk dürfte aber gerecht werden, wenn man den Unterschied zwischen autobiographischer, subjektiver Wahrheit und der historischen, objektiven Wahrheit berücksichtigt. Die vom Komponisten ursprünglich den Partitur-Teilen „zum besseren Verständnis vorangestellten Zwischenüberschriften“ hat Strauss zwar später streichen lassen, geben aber dem Interpreten die Möglichkeit, die eigene Individualität in sein Dirigat einzubringen, so dass wir in der Aufführung eine Verschmelzung von drei Persönlichkeiten erlebt haben könnten.

Zumindest erlebten wir eine Darbietung des Heldenlebens wie aus einem Guss.

Die bestens aufgelegte Staatskapelle überzeugte mit ihrem breiten, opulenten Streicherklang und der homogenen Bläsergruppe sowohl in der epischen Breite, als auch in den subtilen Pianissimo. Da stimmte eigentlich Alles.


Thomas Thielemann