Für das Eröffnungskonzert des diesjährigen Festivals „Albrecht Menzel & Freunde“ in der Radebeuler Friedenskirche hatte der ortsverbundene und international erfolgreich aktive Musiker für sein kleines, feines Ensemble selten zu hörende Werke von drei englischen Komponisten ausgewählt:
Der als Dirigent und Bratschist tätig gewesene Komponist Frank Bridge (1879-1941) hat neben seinem schmalen Kammermusik-Werk vor allem Bedeutung erlangt, dass er seinem Schüler Benjamin Britten (1913-1976) die Bekanntschaft mit der Musik von Ravel, Strawinsky, Berg und Schönberg vermittelte. Britten bedankte sich bei seinem Lehrer mit „Variationen über ein Thema von Frank Bridge op. 10“.
Bis auf wenige Orgelstücke sind Brigdes Kompositionen inzwischen kaum im Repertoire zu finden. Deshalb war es erfreulich, dass im Radebeuler Konzert die Violinisten Albrecht Menzel, Sascha Maisky, die Bratschistin Natalie Loughran sowie der Cellist Bryan Cheng uns die „Drei Idylls H. 67“ aus dem Jahre 1906 des Frank Bridge auf eine jugendlich-erfrischende Weise vermittelten und an den fast vergessenen Musiker erinnerten.
Der Nachlass des Komponisten Cyril Scott (1879-1970) verfügt dagegen über etwa 400 Werke. Er gilt als vom Impressionismus stark geprägter Spätromantiker. In der Darbietung der vier Sätzen seines 1899 entstandenen „Klavierquartett e-Moll op. 16“ ist allerdings der impressionistische Einfluss noch nicht zu spüren. Den ersten Satz „Allegro maestoso e con spirito“ spielten der Pianist Julien Quentin mit den vier Streichern betont frisch und beschwingt, dem ein ausgesprochen romantisches ausdrucksstarkes „Andante molto espressivo“ folgte.
Das „Allegro amabile“ gehörte in erster Linie dem Pianisten, dem die Streichinstrumente weniger ausgeprägt und gedämpfter folgten. Mit einem lebhaft finalen „Allegro non troppo“ schlossen die Musiker das Klavierquartett.
Edward Elgar (1857-1934) war seit Henry Purcell (1659-1695) der erste herausragende Komponist Englands und der bedeutende Vertreter der englischen spätromantischen Musik. Außerhalb Englands wird sein Schaffen oft auf seine patriotischen Orchestermärsche „Pomp and Circumstance“ op. 39 reduziert und seine andere Musik selten aufgeführt. In der Abgeschiedenheit seines Landsitzes begann Elgar 1917 trotz der Auswirkungen des Krieges und persönlicher Probleme mit der Arbeit an drei Kammermusikwerken. Bei der Komposition des „Klavierquintetts a-Moll“, seinem Opus 84, ließ er sich von „traurig enteigneten Bäumen, die wie spanische Mönche, die bei einer sakrilegischen Zeremonie vom Blitz getroffenen worden waren“ inspirieren. Ein unverhohlen spätromantisches Werk großer Tiefe und Eleganz, das die kompositorischen Trends der Zeit völlig ignorierte, war entstanden.
Zunächst spielte der Pianist Julien Quentin in der Einleitung des „Moderato-allegro“ schlichte , dürftige pseudo-gregorianische Motive, gegen die von den Streichern nur nüchtern murmelnd, fast unheimlich angespielt wurde, bis der Cellist Bryan Cheng eine ansteigende, fast flehentliche Figur dagegen setzte. „Spanisch klingenden Elemente“, mit denen Elgar das Wiedererwachen der Mönche symbolisieren wollte, wurden in der Entwicklung des Satzes mehrfach wiederholt. Das Adagio im zweiten Satz gestalteten die Musiker zu einem grandiosen und erhabenen emotionalen Herzstück des Klavierquintetts. Die Bratschistin Natalie Loughran führte die vier Streicher homogen, während der Pianist Julien Quentin feinfühlig mit kräftigen Farben mitwirkte.
Der Final-Satz nahm zunächst Themen des ersten Satzes wieder auf. Das Melodische wurde aber zunehmend zerrissen und Fragmente zwischen dem Klavier und den Streichern gekonnt ausgetauscht. Unvermittelt tauchte auch die Kopfsatzmelodie des Klaviers wieder auf und leitete über ein hochemotionales Duett der beiden Violinen von Albrecht Menzel und Sascha Maisky in das scharf charakterisierte packende Finale über.
Das war brillant gebotene Kammermusik auf höchstem Niveau. Der geringe Bekanntheitsgrad der Musik wurde mit Neugier angegangen und kreativ sowie professionell zu Gehör gebracht. Interessant war, wie phantasievoll die bizarren Aspekte der Werke bewältigt wurden. Mit Albrecht Menzel ist zweifelsfrei aus dem Initiator ein künstlerischer Leiter des Festivals von Format herausgewachsen.
Nicht zu vergessen, dass wir Streichinstrumente von besonderem Klangwerthören durften:
Albrecht Menzel spielte eine Violine aus der Werkstatt Antonio Stradivaris (um 1644-1737). Im Jahre 1709 in dessen Werkstatt in Cremona gebaut, hatte der britische Sammler Sir Andrew Fountaine (1808-1874) das Instrument nach einem Konzert spontan dem Geiger Heinrich Wilhelm Ernst (1814-1865) geschenkt. Ernst, der als einer der besten Solisten seiner Zeit galt, spielte das Instrument bis zu seinem Tode. Im Jahre 1902 gelangte die Violine zu der berühmten Geigerin Wilhelmine Neruda (1839-1911), der früheren Duo-Partnerin und Witwe des Pianisten Charles Hallé (1819-1895). Einige Jahre nach dem Tode der Wilma Neruda war das Instrument nach Zwischenstationen sogar in das Instrumenten-Bau-Unternehmen Rudolph Wurlitzer & Co in den USA gelangt. Der Ursprung der Gesellschaft geht auf Auswanderer aus dem sächsischen Schöneck im vogtländischen Musikviertel zurück. Dem Vernehmen nach seien durch die Hände des Violinspezialisten des Unternehmens Rembert Rudolph Wurlitzer (1904-1963) die Hälfte der etwa 600 weltweit bekannten Stradivari-Instrumente gegangen, die er systematisch authentifizierte und zum Teil restaurierte. Die „Strad Lady Hallé/Ernst“ spielt Albrecht Menzel seit über zehn Jahren.
Die von Sascha Maisky präsentierte Geige wurde im Jahre 1666 in der Werkstatt von Nicola Amati (1596-1684) in Cremona gefertigt. Der Weg des Instrumentes ist bis nach Paris zum bedeutendsten Geigenbauer der Moderne Jean-Baptiste Vuillaume (1798-1875) zurück zu verfolgen, der die Violine 1870 der Familie Saint-Exupéry verkaufte. Da das Instrument bis 1977 im Familienbesitz verblieb, dürfen wir unterstellen, dass auch der Schriftsteller und legendäre Pilot Antoine de Saint-Exupèry die Geige gespielt hatte.
Die Viola der Natalie Loughran ist 1978 in der Werkstatt von Sergio Peression (1913-1991) gefertigt worden. Der im italienischen Udine geborene gelernte Geigenbauer war 1947 nach Venezuela übersiedelt um da neben Reparaturarbeiten im bescheidenen Umfang auch neue Instrumente zu fertigen. Im Jahre 1963 ging Peresson nach Philadelphia zu „William Moennig and Son“, wo er die besten Streichinstrumente der Vergangenheit kennen lernen und in der Folge auch nachbauen konnte. In einer eigenen Werkstatt fertigte er von der Mitte der 1970-er bis Anfang der 1980-er Jahre Streichinstrumente, die weitgehend wie Stradivarius- oder Guarneriusprodukte klingen. Ihr kraftvoller, schöner und satter Klang verleugnet aber einen ausgeprägten Peression-Sound nicht, so dass seine Instrumente im internationalen Spitzen-Musikbetrieb durchaus ihren Platz behaupten.
Da Bryan Cheng das für drei Jahre zugesprochene Stradivari-Cello „Bonjour“ der Stiftung zurück geben musste, stellte er im Konzert ein Violoncello aus der Werkstatt von Mira Gruszow und Gideon Baumblatt vor. Beide, sie in Belgien und er in Berlin aufgewachsen, hatten zunächst ihre Instrumentenbauer-Ausbildung in Cremona begonnen, dann aber auf unterschiedlichem Wege vervollkommnet. In ihrer Werkstatt im brandenburgischen Werder fertigt das Paar in Gemeinschaftsarbeit inzwischen auch international preisgekrönte Streichinstrumente. Dabei lassen sich beide nicht nur von Stradivaris und Guarneris Fertigkeiten inspirieren, sondern schauen auch auf Michel Angelo Bergonzi, Giovanni Battista Rogeri und Gasparo da Salò. Das von Bryan Cheng vorgestelltes Violoncello konnte mit seiner Durchschlagskraft schon begeistern.
Thomas Thielemann
Credits:
Friedenskirche Radebeul-26. August 2023
Eröffnungskonzert der Festivals „Albrecht Menzel und Freunde“
Frank Bridge: Drei Idylls H 67 für Streichquartett
Cyril Scott: Klavierquartett e-Moll Op. 16
Edward Elgar: Klavierquintett a-Moll Op. 84
Albrecht Menzel, Violine
Sascha Maisky, Violine
Natalie Loughran, Viola
Bryan Cheng, Violoncello
Julien Quentin, Klavier
Künstlerische Leitung: Albrecht Menzel