Wir waren recht angetan, dass der bisher selten in Dresden präsente Jakub Hrůša als Dirigent des Konzertes mit Tondichtungen von Strauss und Berlioz zu den Richard-Strauss-Tagen 2023 eingeladen worden war, zumal den Tschechischen Musiker einige Freunde der Sächsischen Staatskapelle auf der Liste der Kandidaten für die kommenden Jahre als Chefdirigenten sahen.
Leider hat sich das doch von einem gewissen Trotz bedingte Konzept, einen Wettbewerb mit der Fülle von Osterfestspielen im deutschsprachigen Raum aufzubauen, als nicht tragfähig erwiesen. Viele Musikfreunde sind den traditionellen Veranstaltungen treu geblieben und für einen breiten Kreis des heimischen Publikums waren die Ticket-Preise bei den Strauss-Tagen 2023 einfach zu hoch. Die Buchungen der Matinee des Konzertes mit Jakub Hrůša blieben deshalb deutlich begrenzt. Trotz des nur spärlich besetzten Parketts spielten die Musiker der Staatskapelle professionell, mit der gewohnten Präzision und Klangfülle. Jakub Hrůša dirigierte engagiert und mit vollem Körpereinsatz.
Mit der einsätzigen Tondichtung „Don Juan“, dem Opus 20 des jungen Richard Strauss nach dem gleichnamigen Versdrama Nikolaus Lenaus (1802-1850), begann das Konzert. Den genialen Anfang der Tondichtung mit der Zeichnung eines Porträts des Helden gestaltete Jakub Hrůša mit detailliertem Ausdrucksvermögen und erzählte die Geschichte mit ihrer meisterhaften Orchestrierung. Das war mit der umwerfend stürmischen Charakterisierung des Draufgängers vom ersten Takt an unverwechselbarer Strauss. In der Interpretation Hrůšas schimmerten durchaus auch die Bewältigung der persönlichen Probleme des junge Komponisten im Spannungsfeld zwischen einer vier Jahre älteren, unglücklich verheiraten Frau und seiner späteren Gattin, der Sopranistin Pauline de Ahna, durch. Jeder Takt, jede Note trug zum feinnervig abgestuften Ton der Erlebniswelt bei und entwickelte das Miniaturdrama mit atemberaubender Geschwindigkeit. Dirigent und Orchester entwickelten in der Folge einen saftigen Helden voller Lebensfreude. Das doch etwas heikle Finale, in dem Strauss Neapolitanische Volksthemen verarbeitete, gestaltete Hrůša faszinierend zu einem tollen Orchesterspuk, der mit einer Erinnerung an den Beginn beruhigend ausklang.
Eine an Besessenheit grenzende Verehrung gegenüber der irischen Schauspielerin Harriet Smithson hatte den jungen Komponisten Hector Berlioz (1803-1869) zur im zweiten Konzert-Teil gebotenen Tondichtung „Symphonie fantastique“ inspiriert. Seine in den letzten der 1820-er Jahre entwickelten Gefühle, Befürchtungen und Hoffnungen gestaltete er in einer damals ungewöhnlichen und neuen magischen Klanglichkeit.
Mit seiner Komposition war es Berlioz zwar gelungen, dass ihn die Irin erhörte, aber ihre Ehe wurde nicht glücklich. Zunehmende Erfolglosigkeit der Schauspielerin führte zu ihrer Alkoholsucht und Berliozs Affären, unter anderem mit der Mezzosopranistin Marie Recio (1814-1862), brachten die Trennung. Berlioz komponierte zwar noch mit „Lélio“ eine Fortführung der „Symphonie fantastique“, aber seine Freude am Opus über die „Episoden aus dem Leben eines Künstlers“ war getrübt.
Jakub Hrůša bereitete in der Einführung das große Drama ausführlich vor und ließ den ersten Satz als großen Orchester-Monolog spielen. Mit seinen bedachtsamen Akzenten, mit seiner Liebe zu den Details in der Ball-Szene, weckte er Erstaunen. Jeder Nebenstimme schenkte er in den „Szenen auf dem Lande“ Beachtung, vereinte kontrahäre Stimmen zur Ruhe, gestaltete aber düstere Vorahnungen auf den „Gang zum Richtplatz“. Mit dem „Hexensabath“ brachten Dirigent und Orchester Klänge und Rhythmen unmittelbar gegeneinander und entwickelten groteske Verformungen und Steigerungen zur Extase.
Mit außergewöhnlich intensiven Ovationen wurden Dirigent und Orchester gefeiert.
Obwohl Hector Berlioz mit der Hofkapelle eine intensive Zusammenarbeit verband, hat der Komponist die „Symphonie fantastique“ in Dresden nur einmal, und zwar im Februar 1843, dirigiert.
Nur Weniges hatte gefehlt, und Hector Berlioz (1803-1869) wäre Dresdner Hofkapellmeister geworden. Dank seiner Leitung mehrerer Konzerte der Hofkapelle in den Jahren 1843 und 1854 waren ihm die Sympathien der Musiker zugeflogen. Seine langjährige Bekanntschaft mit dem Konzertmeister Karol Lipinski (1790-1861) und der Umstand, dass der Generalintendant der Hoftheater Wolf von Lüttichau (1786-1863), vor aber allem dessen Ehefrau Ida (1798-1856), der Auffassung waren, dass das Orchester mehr könne, als es mit Carl Gottlieb Reisiger (1898-1859) der Hofgesellschaft bot. Lüttichau habe ihm im April 1853 gesagt: „Unser Orchester ist ein besonders feines, nicht wahr? Aber es ist schade, dass es nicht so durchgeführt wird, wie es sein sollte; Sie wären die Person, die es zum Leben erweckt.“ Eine offizielle Anfrage des Dresdner Hofes hat Berlioz aber nie erhalten.
Möglicherweise wegen einer Indiskretion des in die Plänen Lüttichaus eingeweihten Franz Liszt sammelten sich um den Musikkritiker Karl Banck (1809-1889) Widerstände gegen Berliozens Berufung. Da halfen weder die begeisterten Publikumserfolge der Oper „Fausts Verdammnis“, des Oratoriums „Flucht nach Ägypten“ und seiner Dirigate, unter anderem der „Symphonie fantastique“, als sich der Sächsische König wenig begeistert zu einer Berufung des Franzosen zeigte. Als nach dem Unfalltod Friedrich August II. im November 1854 die Aufführung seiner Oper „ Benvenuto Cellini“ in Dresden hintertrieben worden war und offenbar von Lüttichau auch einknickte, gab Berlioz seine Dresdner Pläne auf.
Thomas Thielemann
Autor des Bildes: © Matthias Creutziger