Aber zum Beginn gab es erstmal etwas zur Einstimmung:
Ob der Melancholie seiner bekanntesten Kompositionen ist unser Bild Franz Schuberts (1797-1828) oft das eines unglücklichen Menschen. Dabei war er ein geselliger Typ, der sich oft mit Freunden in Gasthäusern traf. Seine Syphilis-Erkrankung deutet auch, dass er nicht wie ein Mönch lebte. Aber bis zu seinem Lebensende konnte er nicht fassen, dass er trotz seines umfangreichen Schaffens von seiner Arbeit als Komponist nicht leben konnte.
Für die sonn- und feiertägige Hausmusik der Familie des Lehrers Franz-Theodor Schubert (1763-1830), komponierte der 19-Jährige ein „Streichtrio- B-Dur“. Während der Vater üblicherweise die Violine spielte, bediente Franz die Bratsche und ein Bruder das Cello.
Ein Allegro-Satz mit interessanter Melodieführung sowie feinsinniger Modulation und Satztechnik der in seiner Anmut an Mozart erinnerte, war entstanden, der bereits den Charakter seiner außergewöhnlichen formalen Details vermittelte. Diesem vollständigen Satz schlossen sich ganze 39 Takte des Allegro an. Die Gründe für den Abbruch der Kompositionsarbeit sind bisher nicht geklärt, bei Schubert aber nicht ungewöhnlich.
Drei hochrangige Solisten hatten sich mit ihren wundervollen Instrumenten zusammengefunden, um uns Schuberts Jugendwerk in einer erstklassischen Interpretation nahe zu bringen. Den Violinenpart spielte der aus Florida stammende hochtalentierte Chad Hoopes auf seiner Replik-Geige von Samuel Zygmuntowicz.
Der Bratscher Ulrich Eichenauer verfügt dank seiner jahrelangen Mitwirkung im Mendelssohn-Streichquartett über die notwendige Erfahrung in dieser Musikform, während der aus Rumänien stammende Andrei Ioniţă dank seiner reichen internationalen Konzerttätigkeit am Violoncello ohnehin als absolut zuverlässiger Trio-Partner feststand.
Aber gerade bei Schuberts Streichtrio erwies sich, dass solistisches Können der Musiker für ein nachdrückliches Erlebnis nicht ausreicht, wenn die Agierenden im Kammermusikverbund das bleiben als was sie angetreten sind: Solisten. Deshalb war es ein regelrechtes Ereignis, als die drei Instrumentalisten nach einem etwas individualistischem Beginn ihre überragenden solistischen Kompetenzen zurücknahmen und ihrem Publikum mit dem B-Dur-Streichtrio einen Ensemblegeist der Extraklasse boten, der keine Wünsche offen ließ.
Bedřich Smetana (1824-1884) war in den 1850-er Jahren alles andere als ein Kammermusik-Komponist. Als Familienvater betrieb er eine erfolgreiche private Musikschule in Prag und schrieb vor allem symphonische Dichtungen. Vor allem ärgerte ihn, dass die engen politischen Verhältnisse die Etablierung eines eigenen Symphonieorchesters verhinderten.
Als im Jahre 1854 die Tochter Gabriela im Alter von zwei Jahren verstarb und im Folgejahr die hochtalentierte Bedřiška im Alter von vier Jahren von einer Scharlacherkrankung hingerafft wurde, brach für die Eheleute Bedřich Smetana und die Pianistin Kateřina Kolářová (1827-1859) die Welt zusammen. Um nicht von seiner Verzweiflung völlig überwältigt zu werden, nahm Smetana Zuflucht zu besonders intensiver Arbeit und schrieb mit dem „Klaviertrio g-Moll“ sein erstes Meisterwerk der größeren Form. Das Werk widmete er dem Andenken an die hochmusikalische Bedřiška, die bereits im Alter von drei Jahren die D-Dur-Skala mit beiden Händen auch in Gegenbewegung auf dem Piano gespielt und beim Anstimmen jeden Ton getroffen hatte. In weniger als drei Monaten war eines der kraftvollsten Werke der Kammermusikliteratur entstanden. Beeinflusst von der ungezügelten Leidenschaft der böhmischen Volksmusik bietet die Komposition trotz ihres trauernden und elegische Charakters vielförmige thematische Variationen und einen reichen Klavierstil.
Drei hervorragende Solisten hatten sich zu einer leidenschaftlichen, dabei kühn-dramatisch-modernen Interpretation des g-Moll-Trios Smetanas in Moritzburg zusammen gefunden. Den Klavierpart hatte der mit diesem Werk vor sieben Jahren beim Festival bereits tätige finnische Pianist Antti Aleksi Siirala übernommen. Wie im Abschlusskonzert des Festivals 2016 spielte auch in diesem Jahr der Mitgründer und jahrelange Musikalische Leiter des Festivals Kai Vogler die Violinen-Stimme. Ein glänzend aufgestellter Andrei Ioniţă begeisterte mit dem Violoncello.
Mit enormen Zugriff und orchestralen Wirkungen gestalteten die Musiker bereits den ersten Satz zum packenden Erlebnis. Schon mit dem eröffnenden Thema formulierte Kai Vogler äußerst klangreich die Unerbittlichkeit des Todes. Mutig folgte der Pianist mit moderner klingenden Passagen. Der mehrfache Wechsel zwischen hochdramatisch und zärtlich gelang auf das Vortrefflichste. In keiner Phase bekam man ein Gefühl kammermusikalischer Sprödigkeit.
Nicht weniger überzeugend gelangen die beiden Folgesätze.
Mit spielerischen Motiven und Tanzrhythmen erinnerte der Vater im zweiten Satz an die Tochter. Das hindert die Musiker nicht, sich in der elegischen Grundstimmung herrlich auszusingen. Zu den hellen Streichern bot ein weicher grundiertes Klavierspiel ein breites klangliches Fundament.
Das finale Presto bestach mit seinem lebensbejahenden rasanten Tempo. Auch wenn kurz noch einmal der Trauermarsch aufblitzte, wurde die von Smetana den Hörern mit idyllischsten Gesängen verordnete Schmerzlinderung vom Publikum dankbar aufgenommen.
Das Jahr 1921 entwickelte sich für Gabriel Fauré (1845-1924) zu einem erstaunlich produktiven Jahr. Offenbar war dem inzwischen 75-Jährigen im Sommerurlaub 1920 bewusst geworden, dass sich seine Zeit als Direktor des Pariser Konservatoriums dem Ende näherte und er sein Leben umsteuern sollte. Obwohl er inzwischen nahezu taub war, mobilisierte er alle seine Kräfte und schuf expressiv-leidenschaftliche, aber auch heitere melancholische Werke. Nicht ohne Doppeldeutigkeiten, aber unverfälscht er selbst, entstanden innige, farbenreiche Kompositionen voll atmosphärischer Dichte.
Die Musiker, Louis Lortie am Klavier, Paul Huang und Mira Wang mit den Violinen, Paul Neubauer mit der Bratsche sowie Andreas Brantelid mit dem Violoncello interpretierten das Klavierquintett mit stilistischem Gespür für die Feinheiten der Partitur. Louis Lortie sorgte mit seinem Klavierspiel für die notwendige Klarheit. Die Wirkung der vier Streichinstrumente war hervorragend austariert. Sie reagierten auf die Vorgaben des Pianisten und konnte die Emotionen des Komponisten wirksam ausgestalten. Der Balanceakt, den Fauré mit den anmutigen Melodienbögen einerseits und seinen unaufhörlich wechselnden Harmonien andererseits vom Kammermusikensemble verlangte, wurde glänzend bewältigt. Die Musiker blieben immer am Notentext und reizten das Verwirrspiel des Komponisten nur begrenzt aus, so dass eine elegante licht- und luftdurchlässige Aufführung der oft vordergründig und asketisch wirkenden spätromantischen Musik den Konzertabend abschließen konnte.
Thomas Thielemann
Autor der Bilder: © Oliver Killig
Credits:
Moritzburg-Festival 2023 Nord-Terrasse des Schlosses Moritzburg
18. August 2023
-Franz Schubert: Streichtrio Nr. 1 B-Dur D 471
-Bedřich Smetana: Klaviertrio g-Moll op.15
-Gabriel Fauré: Klavierquintett Nr. 2 c-Moll op. 115
Musikalische Leitung: Jan Vogler